1. Tübingen Classic – 30.7.2023

Quelle: Zwischengas
Text Emanuel Zifreund / Fotos E. Ziefreund + Michael Kreuz

Da staunte die Fachwelt nicht schlecht! Oldtimer ausgerechnet in Tübingen, der “grünsten” Stadt Deutschlands, dem Fahrradfahrerparadies schlechthin. Und das nicht irgendwo außerhalb im Industriegebiet, sondern mitten in der historischen Altstadt.

Oldtimer in Tübingen

Wie kam es dazu? Der Handels- und Gewerbeverein suchte nach einer Möglichkeit für einen verkaufsoffenen Sonntag, für dessen Genehmigung man allerdings einen besonderen Anlass braucht, beispielsweise ein örtliches Fest, eine Messe oder eine ähnliche Veranstaltung.
Wenn die richtigen Leute miteinander reden, findet sich schnell ein Weg. Rainer Klink vom Auto- und Spielzeugmobilmuseum “Boxenstop” – in Personalunion auch Präsident des ASC-Landesgruppe Württemberg-Hohenzollern -, der Handels- und Gewerbeverein, die ADAC-Ortsgruppe und die Oldtimerfreunde Neckar-Alb-Schönbuch waren sich schnell einig, dass es nach langer Corona-Veranstaltungspause wieder weitergehen muss. Die Tübingen Classic 2023 war geboren. Bei soviel Engagement konnte auch der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer die Veranstaltung nur noch gutheißen, die parallel zu der Eröffnung des neuen Busbahnhofes stattfand.

Treffpunkt der Teilnehmer war ab 10.30 Uhr der große Parkplatz vor dem Boxenstop-Museum, wo sich Autos mit H-Kennzeichen und Zweiräder bis Baujahr 1969 einfanden. Angemeldet hatten sich weit über 200 Interessenten, angenommen werden konnten nur einhundert Teilnehmer. Das brachte viele Besitzer bzgl, der Exklusivität ihres Oldtimers zurück auf den Boden der Tatsachen. Das Organisationsteam merzte unbarmherzig alle „Dubletten“ aus und siebte auch die dann noch verbliebenen Autos heftig aus, was ein interessantes Teilnehmerfeld erwarten liess.

Die erste Überraschung stand gleich in vorderster Reihe: ein Bugatti Typ 37, Baujahr 1927. Publikumswirksam war der Start des Wagens: Hauptstromschalter einschalten, Vergaser etwas fluten, Choke ziehen und dann die Kurbel drehen und hoffen, dass der Motor anspringt, was er auch schon beim zweiten Versuch tat.

Oldtimer in Tübingen

Wie schnell ein Vorkriegsfahrzeug seinen Besitzer wechseln kann, belegt ein Chrysler Royal aus dem Baujahr 1933. Der jetzige Besitzer hielt sich vor langer Zeit berufsbedingt drei Jahre in Südafrika auf, wo er das gute Stück in einem Museum entdeckte. Dann wurde es dort zum Kauf angeboten und schon war’s passiert. Die rechtsgesteuerte Langchassisausführung wurde bis 1954 von der Botschaft genutzt und ist zwischenzeitlich wieder top in Schuss.

Oldtimer in Tübingen

Ein weiteres Beispiel für ungewöhnliche Käufe ist der Alvis von 1935, der seine 100 PS aus einem 2,7 Liter grossen Reihensechszylinder bezieht. Der Wagen wurde von seinem damaligen Besitzer, dem wohl nicht nur die Lust an der Restaurierung ausgegangen war, in zahllosen Kisten verpackt angeboten. “Unter der Hand” hörte der jetzige Besitzer davon und fand einen befreundeten Fachmann, der das Restaurierungsprojekt in zwei Jahren zu Ende brachte. Bereut hat er es bis heute nicht.

Oldtimer in Tübingen

Der “französische Mercedes” Peugeot 402 hatte es von Stuttgart aus nicht weit bis nach Tübingen. Jüngere Besucher erfreuten sich an den eng beieinanderliegenden Scheinwerfern in dem vernickelten Kühlergrill, was dem Wagen ein höchst individuelles Aussehen beschert. Der heutige Besitzer kam nach dem Kauf eines Peugeot 203 zu der Überzeugung, dass echte Oldtimer Vorkriegsfahrzeuge sind. Also fiel zum Jahrtausendwechsel die Entscheidung, diesen Wagen aus der Nähe von Bordeaux zu erstehen. Er war fahrfertig – aber auch nicht wirklich viel mehr. Inzwischen steht der Wagen in einer Zweifarblackierung, die sich an den Pariser Taxis orientiert, wieder richtig gut da.

Aus unserer Sicht erfreulich waren 2 weitere Fahrzeuge aus dem Reihen des Peugeot-Stammtisch Stuttgart für die Veranstaltungh ausgewählt worden: ein 203und ein 304 Cabriolet.

Peugeot 402

Um 11:30 Uhr wurden die Klassiker von dem Auto- und Spielzeugmuseum in die Innenstadt auf die zugewiesenen Standplätze überführt – in der engen Altstadt Tübingens eine echte Aufgabe, der gründliche Vorbereitungen vorausgingen. Am Freitag vor der Veranstaltung “durften” alle Helfer das gesamte Gelände nochmals abgehen, um sicherzustellen, dass keine Missverständnisse auftreten. Am Samstag wurden im Regen die Parkmarkierungen aufs Pflaster geklebt, damit das Abstellen der Fahrzeuge geordnet vonstatten gehen kann.

Oldtimer in Tübingen

Zwischenzeitlich haben alle Fahrzeuge den ihnen zugewiesenen Platz erreicht. Die eine oder andere kleine Startproblematik war schnell behoben und gehört einfach mit dazu. Auch jüngere Fahrzeuge wurden gezeigt, beispielsweise ein aus den USA eingeführter VW-Porsche 914. Aufgrund seiner ungewöhnlichen Form stieß der Mittelmotor-Flitzer bei den jüngeren Besuchern auf reges Interesse, auch wenn diese den Zusammenhang mit Porsche nicht sofort erkannten. Die Fahrzeugfarbe Goldmetallic ist wirklich ausgefallen, nach Aussage des Besitzers wurde das Auto aber so original ab Werk ausgeliefert.

Oldtimer in Tübingen

Das Publikum bestand aus Spaziergängern, die sich in der Tübinger Altstadt einen schönen Sonntag machten, nicht nur aus Fachpublikum. Daher waren die gestellten Fragen teils ganz andere, als man sie von großen Messen gewohnt ist. Zum Beispiel ob man die Wagen auch anschieben könne, wenn sie mal nicht anspringen? Aber das war in den meisten Fällen gar nicht nötig.

“Wir wollten fahrbare Vorkriegsmotorräder aus den Zwanzigerjahren, und da sind wir bei den Royal Enfields gelandet. Davon sind in Deutschland derzeit drei Stück zugelassen” meinten die stolzen Besitzer auf die Frage eines begeisterten Viertklässlers, dessen staunende Augen nicht genug hinsehen konnten. Die untergelegten Handtücher sind der Verlustschmierung geschuldet – man will ja keinen Umweltschützer provozieren. Der geforderte Soundcheck ließ nicht lange auf sich warten. Mitten in der Altstadt ansonsten ein No-Go, aber an diesem Sonntag war der Krach erwünscht.

Oldtimer in Tübingen

Wie man dem Text und den Bildern entnehmen kann, wurden echte Raritäten gezeigt. Das Publikum wusste das zu schätzen und verhielt sich entsprechend rücksichtsvoll. Von etwaigen Beschädigungen der Schmuckstücke war auch nach dem Ende der Veranstaltung nichts zu sehen, umso mehr aber von der Freude an den geführten Gesprächen mit deren Besitzern. Auch die örtliche Presse äußerte sich positiv.

Mit der parallel zur Tübingen-Classic 2023 stattfindenden Eröffnung des neuen Omnibusbahnhofes mit Tiefgaragen für Fahrräder und Autos, trafen in Tübingen am letzten Julisonntag 2023 sozusagen der Verkehr von gestern, heute und morgen aufeinander. Das Publikumsinteresse war so groß, dass die Anfrage des Oberbürgermeisters, ob man den Anlass kommendes Jahr nicht wiederholen könne, nicht lange auf sich warten ließ. Freuen wir uns darauf.

Zeitungsartikel Oldtimer in Tübingen