Mille Miglia 1927 – Klassensieg für Peugeot 172 MM

Um die Entwicklungsgeschichte der Mille Miglia historisch einordnen zu können, ist ein Blick auf das Italien der 1920er-Jahre unerlässlich. Das Land war weitestgehend landwirtschaftlich ausgerichtet und vom Adel und der katholischen Kirche geprägt. Viktor Emanuel III. war seit mehr als einen Vierteljahrhundert König von Italien, Benito Mussolini seit 1922 Präsident des Ministerrats. 1926 waren insgesamt nur etwa 170.000 Autos angemeldet; so viele produzierte die britische Automobilindustrie seit Anfang der 1920er-Jahre jedes Jahr. Eine verwirrende Straßenverkehrsordnung sorgte für viele Unfälle: Auf Landstraßen musste man auf der rechten Straßenseite fahren, in den Innenstädten links. Die italienische Automobilindustrie war dabei, den Anschluss an die europäische Konkurrenz zu verlieren.

Am 4. Dezember 1926 veröffentlichte die italienische Sportzeitung La Gazzetta dello Sport erstmals einen Bericht über die Idee vier junger Norditaliener, die ein Autorennen über 1000 Meilen von Brescia nach Rom planten. Der 1903 geborene Conte Aymo Maggi, bereits etablierter Rennfahrer und Vizepräsident des Automobile Club Brescia, war Initiator des Rennens. Zu seinen Mitstreitern zählten der damals 21-jährige Conte Franco Mazzotti, Clubpräsident und passionierter Flieger, Auto- und Rennbootfahrer. Der 1893 geborene Giovanni Canestrini war Fußballschiedsrichter und Motorsportjournalist bei der Gazzetta. Der vierte im Bunde war der Motorradrennfahrer Renzo Castagneto.

Die "Väter" der Mille Miglia
Die “Väter” der Mille Miglia

Die vier Freunde wollten Brescia zum Mittelpunkt des italienischen Motorsports machen und entwickelten das Konzept des 1000-Meilen-Rennens. Es sollte ein Straßenrennen über zumeist noch unbefestigte Landstraßen nach Rom werden, bei dem Brescia jeweils Start- und Zielpunkt war. Das Rennen sollte auch den italienischen Motorsportteams neuen Auftrieb geben, da Fiat und Alfa Romeo gegen die Fahrzeuge der europäischen Konkurrenten in Rückstand geraten waren.

Als Streckenlänge wählte man 1.000 Meilen (ca. 1.600 Kilometer), da diese in Italien die gängige Entfernungsangabe waren.

Die Streckenführung der ersten "Mille" 1927
Die Streckenführung der ersten “Mille” 1927

Die vier Organisatoren standen vor einer enormen logistischen Aufgabe. Es gelang ihnen die Unterstützung der italienischen Streitkräfte zu erhalten, die 25.000 Carabinieri als Straßenarbeiter, Ordner und Streckenposten zur Verfügung stellten. Durch die regional aufgesplitterten und zerstrittenen italienischen Polizeibehörden war es den Organisatoren unmöglich, die gesamte Strecke während des Rennens für den normalen Verkehr sperren zu lassen. So war es den lokalen Behörden überlassen, ob Streckenteile für den öffentlichen Verkehr gesperrt waren oder nicht. Dort wo die Rennfahrer auf Ochsenkarren und lokale Kleinkraftrad- und Motorradamateure stießen, kam es zu teilweise haarsträubenden Vorfällen.

Entlang der Strecke richteten die Organisatoren 14 Kontrollpunkte ein. An einigen dieser Checkpoints legten die Rennmannschaften Depots für Reifen und Benzin an. Weder die Veranstalter noch die Fahrer hatten eine Ahnung, wie lange sie während des Rennens unterwegs sein würden. Für die langsamsten Wagen wurde eine Fahrzeit von zwei Tagen befürchtet. Auch der Materialverschleiß konnte nur geschätzt werden. Wie viele Reifen gewechselt werden müssten, blieb genauso im Dunklen wie der Treibstoffverbrauch. Mitorganisator Aymo Maggi, der einen Isotta Fraschini fuhr, rechnete mit elf Tankstopps.

Die technische Abnahme der 77 gemeldeten Fahrzeuge – darunter drei Peugeot vom Typ 172 M, die unter der Bezeichnung “MM” auf das Rennen vorbereitet waren – fand auf dem Hauptplatz von Brescia statt. Bis auf 4 Franzosen auf den Peugeots mit den Startnummern 83 und 85 waren ausschließlich italienische Fahrer und Beifahrer am Start. Zum Favoritenkreis zählten die drei Werks-OM Tipo 665 Sport von Ferdinando Minoia sowie den Brüdern Tino und Mario Danieli. Vincenzo Lancia machte eine Ausnahme von seiner Abneigung gegenüber dem Automobilsport und meldete sechs Lancia Lambda. Tazio Nuvolari, der ein Rennteam mit seinem späteren Erzrivalen Achille Varzi unterhielt, steuerte einen Bianchi Tipo 20 Sport Torpedo.

Impressionen Mille Miglia 1927

Am 27. März 1927 morgens um 8 Uhr eröffnete Aymo Maggi die lange Geschichte der Mille Miglia, als Rennleiter Renzo Castagneto seinen Isotta 8A SS auf die lange Reise nach Rom schickte. Es wurde in 7 Klassen – bis 750, 1.100, 1.500, 2.000, 3.000, 5.000 und 8.000 cm³ – gestartet. In Bologna führte Gastone Brilli-Peri im Alfa Romeo mit einem Vorsprung von fünf Minuten auf den OM von Ferdinando Minoia. Brilli-Peri lag auch in Rom in Führung und war der erste Fahrer, den der Rennfluch traf: Wer in Rom führt, kann die Mille Miglia nicht gewinnen. Auf dem Weg über den Apennin Richtung Adria begann der Alfa-Romeo-Motor Öl zu verlieren, weil sich die Ölpumpe aus der Verankerung gelöst hatte und ein Leck in die Ölwanne schlug. Bis Spoleto hielt der Motor durch, dann musste Brilli-Peri, noch immer in Führung liegend, aufgeben. Auch Attilio Marinoni und Giulio Ramponi auf Alfa Romeo bekamen die Härte des Rennens zu spüren, als sie knapp vor dem Ziel mit großem Vorsprung nach einem Differentialschaden ausschieden.

Impressionen Mille Miglia 1927
Impressionen Mille Miglia 1927
Impressionen Mille Miglia 1927

Mit einem Dreifachsieg von OM mit Ferdinando Minoa an der Spitze ging die erste Mille Miglia zu Ende. Das Siegerteam war 21:04:48,200 Stunden unterwegs. In den Medien wurde das Rennen als großer Erfolg gefeiert, wodurch die Fortsetzung 1928 gesichert war. 22 Fahrzeuge fielen auf der Strecke aus.

Die drei – die komplette 750 cm³-Klasse mit den Startnummer 83, 84 und 85 ausmachenden – Peugeot 172 mit den 695 cm³-Motoren, die lediglich etwa 14 PS leisteten, kamen alle wieder in Brescia an und belegten die Plätze 53, 54 und 55.
Klassensieger wurde das italienische Team Guiseppe Cazullani/Alberto Monferroni auf Startnummer 84 mit einer Zeit von 33:51:33, zweiter die Startnummer 83 mit den französischen Fahrern Du Petit Thouars/Siregni mit 37:48:26 und letzter das Ziel erreichender Wagen mit 2.05 Minuten Rückstand das ebenfalls französische Team Lauvergne/Labergue auf Startnummer 85.

2 verschiedene Karosserien, mit der die regulären Peugeot 172 M in den Jahren 1927/28 ausgeliefert wurden. Fotos der 1927 eingesetzten "MM" sind leider nicht zu bekommen.
2 verschiedene Karosserien, mit der die regulären Peugeot 172 M in den Jahren 1927/28 ausgeliefert wurden. Fotos der 1927 eingesetzten “MM” sind leider nicht zu bekommen.
2 verschiedene Karosserien, mit der die regulären Peugeot 172 M in den Jahren 1927/28 ausgeliefert wurden. Fotos der 1927 eingesetzten "MM" sind leider nicht zu bekommen.

Durch den Zieleinlauf nach rund 34 bzw. 38 Stunden wurden die Befürchtungen, dass die kleinen Wagen mehr als 2 Tage für die 1.600 Kilometer benötigen würden, widerlegt. Die Durchschnittsgeschwindigkeit des langsamsten Wagens mit der Startnummer 85 lag immer noch bei rund 42 km/h, was bei einem Vmax der Peugeot 172 M von 60 – 65 km/h eine ganz erstaunliche Leistung darstellt.

Bei der MM 1928 traten Guiseppe Cazullani/Alberto Monferroni nochmals an, fielen jedoch aus. 1929 ging letztmalig ein 172 MM an den Start, mußte jedoch in der 1,1 Liter-Klasse antreten, da die kleinste Klasse inzwischen gestrichen war. Das Team Tinarelli/Marinoni fuhr mit der Startnummer 9 auf den beachtlichen 42. Platz von 99 Teilnehmern.

Erst 1953 war Peugeot dann wieder bei der Mille Miglia dabei: 4 Peugeot 203 starteten, von denen 3 das Ziel erreichten. Von 487 Startern kamen sie auf die Plätze 126, 130 und 137.