Wiederentdeckung eines seltenen Peugeot 402 Eclipse

Anfang der 2000er Jahre hatte ich gerüchteweise gehört, dass es einen seit Jahren stillgelegten Peugeot 402 Eclipse in Deutschland geben soll. Kontakt zum Besitzer konnte ich allerdings nie knüpfen.

Im Jahr 2005 bekam ich über Verbindungen aus der Oldtimerscene näher Informationen: Der Besitzer sollte ohne Erben verstorben sein und ein Notar hätte den Auftrag, das Erbe aufzulösen. Den Kontakt zu diesem Notar konnte ich dank der Vermittlung eines Oldtimerfreundes herstellen und musste mich dann mehr als zwei Jahre gedulden, bis vom Nachlassgericht die Zustimmung zum Verkauf vorlag.

Peugeot 402 E4 Coupe Cabrio Metallique

Beim Peugeot 402 handelt es sich um einen automobilen Meilenstein. Er ist der weltweit erste, ab 1935 in größerer Stückzahl gebaute Wagen in Cabrio/Coupe-Bauweise mit einem im Kofferraum verschwindenden Stahldach. Unser heutiges Straßenbild wird ja von Mengen dieser “CC” – Cabrios bevölkert. Egal wie sie heißen, ob Mercedes CLK, Renault Megane, VW Eos oder Peugeot CC – die Urväter sind die Peugeot der 30er Jahre mit „Eclipse-Karosserie“.

Die Zeichnung oben zeigt im Vergleich zum Foto ein doch etwas idealisiertes Bild
Die Zeichnung oben zeigt im Vergleich zum Foto ein doch etwas idealisiertes Bild
Der Elektromotor benötigt nur etwa 25 Sekunden, um
Der Elektromotor benötigt nur etwa 25 Sekunden, um
das Dach vollständig zu öffnen

Bevor Peugeot ab ca. 1934 die direkten Vorgänger des Peugeot 402 Eclipse – einige wenige Exemplare der Baureihe 401/601 – beim Karosserieschneider „Pourtout“ bauen ließ, gab es nur in den USA Versuche mit einem Dach, das ähnlich den zeittypischen Schiebedächern auf Schienen auf den Kofferraum auflief.

Generell ist festzuhalten, dass insgesamt 680 „Eclipse“-Karosserien (Serie 301, 401, 601 sowie 402) gebaut wurden. Speziell vom 402 wurden – ausweislich einem Artikel in „La Vie de Auto“ Nr. 1109 vom 8.1.2004 – 473 Exemplare hergestellt.

Die Fa. Peugeot nennt mit 580 Exemplaren höhere Produktionszahlen, die sich auf die einzelnen Modelle wie folgt verteilen:

Basis 402 – Typ E4 – 2/3-Sitzer mit elektrisch betätigtem Dach – 80 Stück
Basis 402 L – Typ E4Y – 4/5-Sitzer mit manuellem Dach – 324 Stück
Basis 402 L – Typ E4T – 4/5-Sitzer mit manuellem Dach und
elektromagnetischem Cotalgetriebe – 149 Stück

Basis 402 BL – Typ E5T – 4/5-Sitzer mit manuellem Dach – 16 Stück
Basis 402 BL – Typ E5TC – 4/5-Sitzer mit manuellem Dach
und Cotalgetriebe – 7 Stück
Basis 402 BL – Typ E5TM – 4/5-Sitzer mit elektrisch betätigtem Dach
und Cotalgetriebe – 4 Stück.

Davon sind heute – je nach Quelle unterschiedlich dargestellt – weltweit noch maximal 35 Exemplare bekannt. Das internationalen Eclipse-Register, das im Museum von LeMans geführt wird, kannte zur Zeit der Auffindung meines E4 33 Exemplare, wobei dieser nicht mit enthalten ist. Insoweit muss also davon ausgegangen werden, dass es sich um einen wirklichen „Neufund“ handelte. Auch heute – über 10 Jahre später – sind nach wie vor außer dem hier beschriebenen Fahrzeug lediglich noch 2 (zwei) weitere Eclipse „E4“ bekannt sind, die sich beide in Frankreich befinden.

Die Eclipse waren Fahrzeuge der vermögenden Avantgarde: einer der beiden noch in Frankreich befindlichen E4 wurde von Josephine Baker gefahren, bei einem der Viersitzer war Albert Camus Erstbesitzer.

Folgende Infos zum Fahrzeug liegen vor:

Peugeot 402 Eclipse – Karosserie „E4“, Fahrgestellnummer 601524 / Karosserienummer 58

Es handelt sich eindeutig um ein Fahrzeug der ersten Serie mit geteilter Frontscheibe und ab Werk installierter elektrischer Dachmechanik. Nach Recherchen bei Peugeot sowie der Auskunft des Internationalen Eclipse-Registers ist der Wagen im März 1936 hergestellt worden.

Die Fahrgestellnummer passt nach Auskunft des Archivs der Fa. Peugeot auch zu einem solchen Fahrzeug. Die Karosserienummer lautet „58“, Karosseriebezeichnung „E4“ – Coupe Cabriolet mit elektrischer Dachmechanik als 2/3-Sitzer. Das Fahrzeug ist also der 58. gebaute Peugeot 402 mit Eclipsekarosserie und somit wesentlich älter als die anderen in Deutschland befindlichen Eclipse der Baureihe 02, bei denen es sich sämtlich um den 4/5-Sitzer „E4Y“ handelt (Karosserienummern 240, 260 und 266).

Peugeot 402 E4 Coupe Cabrio Metallique

Laut vorliegender Info der Fa. Peugeot wurde der Wagen aber erst per 30.6.1937 an den Peugeotkonzessionär “Ortelli” in Nizza ausgeliefert. Zu dieser Zeit wurden die Zweisitzer mit der Karosserieform „E 4“ schon nicht mehr gebaut.

Nachdem die Peugeots mit „Eclipse“-Karosserien dem obersten PKW-Preissegment zuzuordnen sind, wurden die Fahrzeuge nach heutiger Kenntnis nur bei vorliegender Bestellung gefertigt. Der Preis lag 1936 bei 34.000 FF; das entsprach bei einem Wechselkurs 1 RM = 3 FF in etwa 11.500 RM. Bei Hochrechnung auf Basis des Index gewerbliche Arbeitsmaschinen des Statistischen Bundesamtes ergibt sich ein auf heutige Währung umgerechneter Neuwert (2019) von etwa 165.000 €. Das entspricht dem, was heute z.B. für einen Aston Martin Vantage V 8 zu bezahlen ist.

Hier ein Video des Autos, aufgenommen auf der RetroClassics in Stuttgart

Es ist unwahrscheinlich, dass ein solches Fahrzeug über 1 ½ Jahre „auf Halde“ stand. Das legt die Vermutung nahe, dass – unabhängig davon, ob eine Bestellung geplatzt ist oder Peugeot ihn gleich für Werbezwecke gebaut hat – der Wagen von Peugeot in den Jahren 1936 und 1937 genutzt worden ist. Die wahrscheinlichste Einsatzmöglichkeit war die Ausstellung auf diversen Fahrzeugmessen. Insoweit ist zu unterstellen, dass es sich um einen der Wagen, die beim Genfer Salon und bei der Pariser Autoschau etc. ausgestellt wurden, handelt, auch wenn es nicht bewiesen werden kann.

Nach der Auslieferung verliert sich die Spur des Wagens zunächst. Die Kriegsjahre wird er wegen des Standortes Nizza, der im unbesetzten Teil Frankreichs liegt, ohne Requirierung zum Militär unbeschadet überstanden haben. Nach dem Krieg ist er dann in die Schweiz gelangt, wo zu dieser Zeit mehrere Eclipse zugelassen waren.

Für 1956 ist belegt (Foto in Auto Motor Sport 1/1957), dass ein „E4Y“ in sehr gutem Zustand in Zürich zugelassen war. Darauf ist zu erkennen, dass das Dach in anderer Farbe als der Rest der Karosserie lackiert war.

Im Jahr 1950 taucht mein „E4“ in der Schweiz mit der veränderten Front – wohl angelehnt an zeitgenössische Delahaye und Delage – wieder auf. Der Umbau der Front wurde vermutlich in den Jahren 1946 – 1949 von der in Nizza ansässigen Karosseriefirma Brandone durchgeführt. Diese Firma hat vor dem Krieg sehr schöne Karosserien auf rollende Chassis verschiedener Hersteller aufgebaut und versuchte Ende der 1940er Jahre – in einer Zeit, als in Frankreich auf Neufahrzeuge über 2 Liter Hubraum eine exorbitant hohe Luxussteuer erhoben wurde – zu überleben, in dem man Vorkriegswagen ein modernes, modisches “Gesicht” anpasste.

Das erfolgte mit relativ geringem Aufwand, indem nur die Fahrzeugfront geändert wurde – frei stehende Scheinwerfer wurden in die Kotflügel integriert, zeittypische Kühlergrills montiert und Ähnliches. Und genau das ist mit meinem 402 Eclipse auch passiert.

Peugeot 402 E4 Coupe Cabrio Metallique

Dass Brandone sich mit Peugeot beschäftigte, ist bekannt, da mehrere 402-Cabrios entsprechend bzw. sehr ähnlich “modernisiert” wurden. Der Kühlergrill, der bis heute keinem anderen Fahrzeug zugeordnet werden konnte, ist mit denjenigen Kühlergrills der Peugeots, die nachweislich bei Brandone umgebaut wurden, identisch.

Ansichtskarte mit Eclipse E4

Stellt sich noch die Frage, ob der Wagen zur fraglichen Zeit – Brandone hat die Modernisierungs-Umbauten nur in den Jahren 1946 – 1949 durchgeführt – “in der Gegend” war. Ganz sicher ist das heute nicht mehr feststellbar; ein Indiz dafür ist aber eine Ansichtskarte von Ende der 1940er Jahre, die einen 2-Sitzer Eclipse E4 zeigt, dessen Zulassung auf Nizza bzw. die Cote Azur hinweist. Eventuell zeigt diese Karte tatsächlich den beschriebenen Wagen

Sensationelle Neuigkeiten erreichten mich im Frühjahr 2017 aus der Schweiz; im Bundesarchiv Bern wurde Unterlagen zum E4 601524 gefunden, die den Verbleib des Fahrzeugs in der Zeit von 1950 – 1960 amtlich belegen. Der Wagen war auf einen Herrn

August Füchslin, Patissier, Jahrgang 1903, Bruchstrasse 54, Luzern

zugelassen und mit dem amtlichen Kennzeichen LU 5851 unterwegs.
Die Karosserieform wird mit „Limousine 2-3 Plätze“ bezeichnet.

Herr Füchslin hat den Wagen vermutlich 10 Jahre lang besessen, bis er ihn im Jahr 1960 an die Fa. Autoverwertung E. Joller aus Neuenkirch/Kanton Luzern verkaufte. Diese Firma war auch der letzte bekannte Schweizer Besitzer des Eclipse.

Im Jahr 1964 wird der Wagen von Herrn J. Neubert und Herrn Hans Grieger aus Mögglingen (bei Schwäbsich Gemünd) auf dem Schrottplatz der Fa. Joller erworben und nach Deutschland gebracht. Die Zoll- und Einfuhrpapiere dazu liegen im Original vor (Zollnummer F IV/64 Nr. 1281, Datum 30.12.1964).

Die beiden begannen eine aufwändige Restauration, die aus letztendlich ungeklärten Gründen Mitte der 70er Jahre abgebrochen wurde. Sicher ist, dass der Wagen nie im Deutschland zugelassen wurde. Herr Neubert und Herr Grieger haben zunächst wohl jede freie Minute in die Restauration des Autos gesteckt und eine aufwändige Restauration begonnen, die aber nicht zu Ende geführt wurde. Es liegt ein Film aus dem Jahr 1975 vor, die ihn praktisch im heutigen Zustand auf der Straße fahrend und mit funktionstüchtiger Dachmechanik zeigen.

Nach Informationen aus der Familie Neubert haben sich die Freunde Neubert und Grieger dann irgendwann so zerstritten, dass sie sich gerichtlich über den Besitz des Eclipse auseinandersetzten. Dabei wurde der Wagen Herrn Grieger zugesprochen. Es steht fest, dass er ihm bereits Mitte 1976 gehörte. Das ist durch ein Schreiben von ihm an die Fa. Peugeot in Paris vom 19.5.1976, in dem er technische Fragen, die auf einen erst kurz davor erfolgten Eigentmsübergang und eine weitere Restaurationsabsicht schließen lassen, gestellt hat, nachgewiesen. Ob dieses Schreiben jemals beantwortet wurde, ist nicht bekannt. Zur weiteren Restaurierung kam es aber nicht, da Herr Grieger langjährig in den USA lebte.

Letztmalig aus eigener Kraft wurde der Wagen laut Auskunft eines Freundes von Herrn Grieger, der dabei war, ca. 1985 auf Achse in die Garage in Heuchligen gefahren, wo alle vorhandenen, weitgehend demontierten Teile hineingepackt wurden. Im Anschluß fiel er in einen Dornröschenschlaf und wurde praktisch vergessen.

Erst durch den Tod von Herrn Grieger im Jahr 2005 wurde die Existenz des Wagens einem sehr kleinen Kreis von Eingeweihten wieder bekannt und im Mai 2007 konnte er als „Zustand 6 Restaurierungsobjekt“ und nicht fahrfähig von mir erworben werden.

Nachdem vorher jahrelang kein Eclipse auf den Markt kam, wurden in den Jahren 2006/2007 drei Eclipse der Baureihe 402 (jeweils allerdings 4/5-Sitzer E4Y) verkauft. Bei einem handelte es sich um ein unrestauriertes, sehr gut erhaltenes Exemplar aus Ersthand-Familienbesitz (siehe auch „Motorklassik 3/07), beim anderen um ein seit Jahren in Hollywood stehendes voll restauriertes Exemplar, das versteigert wurde. Der dritte Wagen kam aus Clermont-Ferrand in restaurierungsbedürftigem Zustand zu einem Peugeothändler in Südbaden.

Nachdem sowohl Herr Neubert als auch Herr Grieger Mitglieder in damals gerade entstehenden Oldtimerclubs waren, ist es nicht unwahrscheinlich, dass in privaten Archiven noch Infos aus der Zeit kurz nach dem Import aus der Schweiz schlummern. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich weitere Infos zum Auto bekommen könnte – egal ob Fotos, Infos zum Verbleib zwischen 1936 und 1964, zum Zustand zwischen 1964 und 1989 oder – mir ganz besonders wichtig – zum Umbau der Front.

Bitte setzen Sie sich mit mir in Verbindung, wenn Sie irgendetwas zur Geschichte des Wagens beitragen können. Die eventuell entstehenden Kosten übernehme ich natürlich.

Seit ca. 1965 nahezu unverändert

Fazit:

Es handelt sich um einen äußerst seltenen Luxuswagen der 1930er Jahre, von dem heute nur noch 3 Exemplare existieren.
Der Wagen ist nahezu vollständig, aber im Zustand einer abgebrochenen 1960er Jahre Restaurierung. Der Motor wurde im Jahr 2010 überholt und dann 2 Jahre in einer 1937er 402-Limousine eingefahren.

Er hatte vermutlich seit 1936 nur 6 Besitzer:

  • Fa. Peugeot, Paris (1936/37)
  • Peugeot – Händler Ortelli – Cannes (1937-1950)
  • August Füchslin, Bruchstrasse 54, CH – Luzern (1950 – 1960)
  • E. Joller (Autoverwertung) aus Neuenkirch/Kanton Luzern (CH) (1960 – 1964)
  • J. Neubert + H. Grieger, D – Mögglingen (1964 – 2007)
  • Michael Kreuz, D – Stuttgart (2007 – heute)

Und zum Abschluß noch ein Video, auf dem die elektrische Dachmechanik gezeigt wird.

Nachtrag: Am 18. Juni 2020 erschien in der Zeitschrift La Vie d’Auto (Ausgabe 1924) der oben gezeigt Artikel, in dem der anerkannte Peugeot-402-Spezialist Hubert Auran aus Noves, in dessen Sammlung sich weit über 20 Exemplare der Baureihe mit (fast) ausschliesslich Sonderkarosserien befinden, die im obigen Artikel aufgeführten Rechercheergebnisse zur Geschichte des Fahrzeugs bestätigt. Erstmals erscheint hier auch der Name des Peugeothändlers Ortelli in Nizza, an den das Auto Mitte 1937 ausgeliefert wurde.

Bei Ortelli handelt es sich um den ältesten französischen Peugeot-Händler, der die Vertretung der Marke schon im Jahr 1901 übernommen hatte. 2002 bekam die Fa. Ortelli wirtschaftliche Schwierigkeiten und wurde von Peugeot komplett übernommen.

Nachtrag: Wie schon dargestellt, wurde der Wagen Mitte 1937 an den Händler Ortelli in Nizza ausgeliefert. Wie aus dem folgenden Zeitungsausschnitt ersichtlich ist, hat die Firma Ortelli auf dem 12. Automobil-Salon in Nizza und dann im Herbst 1937 in ihren Räumen in Cannes eine Eclipse-Schau durchgeführt. Damit ist m.E. also so gut wie sicher, das mein E4 dort auch gezeigt wurde, obwohl auf dem Foto ein E4Y zu sehen ist.

Michael Kreuz

Nachtrag 20.12.2021: Derzeit werden vom Automodell-Kleinserienhersteller Mafma zwei Modelle des “Brandone-Eclipse” im Maßstab 1:43 hergestellt, die ab 2022 lieferbar sein sollen.