Ein Differential macht einen großen Unterschied schon im Kleinen – klingt paradox, aber genau so verhält es sich bei dem Auto, das ich heute vorstelle.
Nebenbei: Gehören Sie auch zu den Dissidenten, die weiterhin Differential, Potential und anderes reaktionäres Zeug schreiben, weil Sie das so gelernt haben und seither für richtig befinden? Dabei müsste es nach dem Willen staatlicher Sprachpanscher mitterweile „Differenzial“ und „Potenzial“ heißen – vermutlich bald auch „Reakzion“…
Zum Glück gehört die Sprache denen, die sie täglich anwenden, und nicht den Ideologen, die Bewährtes und Selbstverständliches zu dekonstruieren versuchen. Letztlich hängt es vom Einzelnen ab, ob man über jedes hingehaltene Stöckchen springt.
Welchen Unterschied macht aber nun ein Differential – das doch beim Auto zu den Teilen gehört, die eher im Verborgenen ihren Dienst verrichten? Nun, einen ganz erheblichen und das schon bei einem Kleinwagen, obwohl der zur Not auch ohne ein solches auskommt.
Dieses Gefährt mit zwei hintereinanderliegenden Sitzen repräsentierte den Versuch der Marke Peugeot, nach dem 1. Weltkrieg ein Automobil zu etablieren, das mehr Schutz als ein Motorrad bot, aber ähnlich sparsam war.
Dazu nutzte man die Gesetzgebung in Frankreich aus, die eine geringere steuerliche Belastung vorsah, wenn bestimmte Hubraum- und Leistungsgrenzen nicht überschritten und spezielle Merkmale von „echten“ Autos gemieden wurden.
So verbaute man bei diesem ab 1921 gebauten Typ 161 einen extrem kompakten Vierzylindermotor, der aus knapp 700 cm³ Hubraum gerade einmal 10 PS leistete. Außerdem verzichtete man auf das Differential an der Hinterachse.
Das war eine Konzession an Vorgaben der Pariser Bürokratie für steuerbegünstigte Wagen. Ohne Differential war die Spur der Hinterachse so schmal zu halten, dass sich die Differenz der Umdrehungszahl der Räder beim Durchfahren von Kurven nicht bemerkbar machte. Wie sich dieses absurde Reglement auswirkte, ist auf der zweiten Aufnahme desselben Wagens zu besichtigen, der in den 1960er Jahren in Monschau im Rahmen einer grenzüberschreitenden Oldtimerfahrt fotografiert wurde:
Hier sieht man, wie eng beieinander die Hinterräder lagen – der vom Gesetzgeber begünstigte Verzicht auf das Differential ging so zulasten der Fahrstabilität.
Schon 1922 sah man bei Peugeot ein, dass dieser Versuch, steuerlichen Anreizen zu folgen, zu keinem vernünftigen technischen Ergebnis führte. Daher entwickelte man den Typ 161 „Quadrilette“ mit begrenztem Aufwand zu einem vollwertigen Tourer weiter.
So glich man die Spurweite an der Hinterachse an die der Vorderachse an und verbaute nun auch ein zum Ausgleich der bei Kurvenfahrt unterschiedlichen Umdrehungsgeschwindigeiten der Räder erforderliches Differentialgetriebe.
Damit gingen einige weitere entscheidende Veränderungen einher, die den Nachfolgetypen 172 ausmachten, welcher in weit größerer Zahl bis 1927/28 gebaut werden sollte.
Dank größerer Breite des Wagens war nun auch eine Anordnung der Sitze nebeneinander statt hintereinander möglich. Das Ergebnis sah deutlich erwachsener aus:
Die Leistung des Motors war gegenüber de Typ 161 um ganze 10 % gesteigert worden – statt 10 PS standen nun 11 PS zur Verfügung!
Was aus heutiger Sicht äußerst bescheiden anmutet, war tatsächlich eine spürbare Verbesserung, wie jeder Besitzer von Motorrädern dieser Leistungsklasse weiß – bei einem leichten Gefährt wir diesem zählte buchstäblich jede einzelne Pferdestärke.
Das Spitzentempo war auf 60 km/h begrenzt, um die Wirtschaftlichkeit und Haltbarkeit des Motors nicht zu gefährden – an sich wäre etwas mehr drin gewesen.
Dem Motorrad hatte man den besseren Wetterschutz und größeren Komfort voraus – gegenüber der schnelleren Eisenbahn hatte man den Vorteil, nicht an feste Strecken und Fahrpläne gebunden zu sein – außerdem blieb man unter sich.
Das alles gilt es zu berücksichtigen, wenn man sich die aus heutiger Sicht dürftigen Leistungswerte eines solchen Peugeot-Kleinwagens vergegenwärtigt. Nicht zuletzt war damit das Erscheinungsbild eines echten Automobilisten verbunden – der Typ 172 war keine primitive Notlösung mehr, sondern ein vollwertiges Fahrzeug:
Außer der Größe und der Motorleistung unterscheidet diese hübschen Wagen nichts Wesentliches von Fahrzeugen der Mittel- und Oberklasse, die damals ebenso ohne Vorderradbremsen, ohne Heizung und meist ohne festen Dachaufbau daherkamen.
Man sieht: Der Schritt zum Differential und die damit einhergehenden Verbesserungen hob auch in anderer Hinsicht bestehende Differenzen auf – beispielsweise was die Frage betrifft, wer vorne und wer hinten sitzt.
Zurück zum historischen Foto des Typ 172: Was das angeht, ist hier bereits Gleichbehandlung der Geschlechter gegeben. Dabei genoss die Dame freilich das Privileg, gefahren zu werden, während die Arbeit am Steuer mit Beschwernissen für „ihn“ verbunden war, wenn es zu unvermeidlichen Pannen kam.
Zufälligerweise sind die Namen der beiden Insassen überliefert – „Onkel Fritz und Tante Elsa“ steht auf der Rückseite des alten Abzugs fein säuberlich vermerkt. Auch das Aufnahmedatum ist dort festgehalten: 1929.
Leider kann ich das genaue Baujahr dieses Peugeot 172 nicht angeben, der ja immerhin fast sechs Jahre lang gebaut wurde, wobei die Motorleistung ab Mitte der 1920er Jahre auf zuletzt 12 PS stieg. Vielleicht kann ein Leser den Wagen zeitlich näher einordnen.
Die Rechtslenkung verweist übrigens auf ein Exportmodell, während mir das Nummernschild merkwürdig vorkommt. Da das Kennzeichen des Peugeot wie dasjenige des dahinterstehenden Buick nur eine dreistellige Zahl aufweist, muss es sich um ein Land mit sehr überschaubarer PKW-Population (oder einen Zufall) handeln.
Könnte es sich um ein Diplomatenkennzeichen gehandelt haben? Oder hatte hier jemand schlicht die richtigen Beziehungen, die bei der Nummerschildvergabe den entscheidenden „Unterschied“ machten?