von Herrn Remy Voegel, Strassburg
Dem Artikel möchte ich vorausschicken, dass ich Busfahrer in Strasbourg bin und keine Mechaniker- oder Karosseriebauer-Ausbildung habe.
Mein Auto ist ein 2-sitziger Peugeot 301 D Coupe und wurde in Sochaux gebaut. Von den ungefähr 1.100 gebauten 301 Coupé hat mein Wagen die Karosserienummerr 1047. Am 9. September 1936 wurde er nach Algier (damals Übersee-Departement Algerien) ausgeliefert.
Auf Basis des letzten vorhandenen Nummernschilds aus dem Jahr 1959 habe ich zur Geschichte des Wagens nachgeforscht – es stellte sich heraus, dass es vorher 3 Besitzer gab und das Auto nach der Stilllegung ebenfalls 3 Eigentümer hatte. In Frankreich sind die Besitzerpapiere – die „Carte grise“ – in speziellen Registern bei den „Archives Departementales“ noch verfügbar. Wenn man sehr höflich anfragt – das geht auch per Mail – gibt es Informationen zum Fahrzeug, die gratis zur Verfügung gestellt werden. Ich war auch persönlich in Mulhouse und habe dort die Autobesitzer-Register von 1937 bis 1940 in den Archives Départementales durchgeblättert, bis mir die Augen tränten, um Hinweise auf den ersten Besitzer zu finden – leider aber ohne Erfolg.
Nach mehreren Anfragen bei verschiedenen Departements konnte ich aber Sohn und Tochter des zweiten Besitzer ausfindig machen. Sie haben mir vieles über das Auto erzählt:
1939 wurde der Wagen von Algerien wieder nach Frankreich verschifft und von einem Textilingenieur namens Deloraine – der zweite Besitzer – aus Vesoul erworben, der bei einer großen Textilfabrik in der Nähe von Mulhouse tätig war. Nach dem deutschen Einmarsch 1940 floh die Mutter mit den beiden Kindern im 301 nach Neuvic d’Ussel in der Corèze. Monsieur Deloraine folgte der Familie etwas später mit seinem zweiten Wagen, einem Voisin Aviation Automobile. Um den Wagen in der Kriegsmangelwirtschaft am Laufen zu halten, baute er den Peugeot auf Holzvergasertechnik um. Die Tochter sagte mir jedoch, dass das Auto damit nicht gut lief. Sie hat ihren Führerschein Anfang der 50er Jahre mit dem Auto gemacht und erinnerte sich, als Kind hinten aus dem Spider geschaut zu haben.
Nach dem Krieg kehrte die Familie ins Departement Haute Saone zurück. Der Sohn studierte in den 1950er Jahren in Paris und nahm den 301 dorthin mit. Er musste die Kurbelwelle austauschen, weil sie ausgeschlagen war. Auch fing der Wagen wegen eines Lecks in der Benzinleitung einmal Feuer. Nachdem er sich wegen mangelhafter Bremsen mit dem Auto fast umgebracht hatte, hatte er die Nase voll und verkaufte es.
Über den dritten Besitzer ist wieder nichts bekannt; das Auto vergammelte in den 50 folgenden Jahren immer mehr und ein KFZ-Mechaniker kaufte es schließlich, um es zu restaurieren. Das Vorhaben wurde aber wegen des zu großen Aufwands aufgegeben und der Wagen endete letztendlich als Hühnerstall, bevor er von einem Sammler erworben wurde. Da dieser ihn lediglich unterstellte, aber nichts zur Erhaltung unternahm, erwarb ich im Jahr 2013 ein schrottreifes Wrack.
Als ich das Auto in meinen Hof gefahren habe, habe ich die Tür rechts verloren und sie fiel auf den Bürgersteig. Zum Glück ist die Scheibe nicht zerbrochen. An diesem Tag hat ein Passant mich angesprochen und gefragt, ob ich das Auto auf den Schrott fahre? Er wollte es mir sicher abnehmen! Als ich ihm aber geantwortet habe, dass ich es restaurieren möchte, hat er geantwortet “il est fou”! (das ist verrückt).
Die Mechanik habe ich total zerlegt, gereinigt und überarbeitet. Der Motor war fest, die Kolben hatten irgendwann einmal gefressen. Ich habe ihn ausdrehen lassen und 4 neue Reparaturkolben, die ich im Internet gefunden hatte, eingebaut. Als ich den Motor wieder zusammen gebaut hatte, fand ich, dass er ein bisschen schwer drehte. Niemand konnte mir sagen, warum, bis ich auf eine kleine Andeutung in einem alten Reparaturbüchlein stieß, in dem ich las, dass die Pleuel ein kleines Loch haben, durch das das Motoröl die Nockenwelle schmiert. Da wurde mir klar, dass ich die Kolben verkehrt herum eingebaut hatte.
Den Auspuff habe ich von einem VW genommen und für den 301 passend umgeändert. Als ich die Bremsanlage bei der Restaurierung ausgebaut habe, war vorne links der Bremsbelag neu und hatte wohl noch nie gebremst, weil er total fettverschmiert war – wahrscheinlich war er einmal von einem Amateurmechaniker montiert worden. Der rechte Belag war dagegen total runter, weil er immer alles hatte bremsen müssen. Auch war die gesamte elektrische Anlage total verbastelt und eine einzige Katastrophe.
Für die Restaurierung habe ich einiges lernen müssen – so habe ich das Löten und Verzinnen, wie man das früher machte, von einem Freund, der Dachdeckermeister ist, gelernt.
Wie man auf den Fotos sieht, habe ich die Karosserie vom Fahrwerk abgehoben; sie wurde sandgestrahlt und alle Holzteile wurden erneuert. Hier was das Problem, dass diese Teile so marode waren, dass ich keine benutzbaren Vorlagen mehr hatte.
Für die Arbeiten habe ich Esche verwendet. Um dieses Material in ausreichender Menge zu haben, konnte ich 3 m³ zum Brennholzpreis von einer geschlossenen Sägemühle kaufen. Um die Kosten der Restaurierung zu reduzieren, habe ich einige Dielen an einen Gitarrenbauer, Schreinereien zur Herstellung von Möbeln bzw. Treppen und sogar an einen Chinchillazüchter, der aus dem Holz Stallungen baut, weiterverkauft.
Teile der Karosserie fehlten und ich musste sie nachfertigen. So den Boden, von dem kaum etwas übrig war. Um die Sicken einzudengeln, habe ich mir aus Holz eine Form gebaut. Einige Teile waren sehr schwer nachzuarbeiten, wie z.B. die Innenseiten der Kotflügel. Die Teile dafür habe ich mit Hammer auf der Werkbank geformt. Das Problem war, das Blech so zu formen, das es auch in den Biegungen perfekt passte. Mehrfach stellte sich bei der ersten Anpassung heraus, dass ich nicht genau genug gearbeitet hatte – daher musste ich einige Teile mehrfach machen.
Das Coupe-Heck war ursprünglich als Kofferraum gebaut und so ausgeliefert; ich habe es zum „Schwiegermuttersitz“ umgebaut, wie das bei Coupés und Cabrios dieser Zeit üblich war. Das Auto ist heute als 4-Sitzer angemeldet, war laut “carte grise” früher ganz sicher aber nur als 2-Sitzer angemeldet. Die Peugeotarchive führen das 301 Coupe als 2/4-Sitzer. Wahrscheinlich war der Kofferraum eine Sonderbestellung, da das Auto so lange man sich erinnert so ausgestattet war.
Durch den Umbau musste ich, weil ich den Kofferraumdeckel umgedreht habe, die Wasserrinne formieren und einschweißen. Sie musste dem Schwung des Deckels genau folgen und das Wasser durch ein Röhrchen zu den Seiten nach außen führen. Mit Fotobeispielen, die ich im Internet fand, konnte ich den exakten Punkt für die Drehachsen des Deckels finden, damit er als Lehne aufgeht, ohne irgendwo anzuschlagen. Die Tritte, über die man zum Schwiegermuttersitz kommt, bekam ich neu über den französischen 01-Club, der diese Teile hatte nachfertigen lassen.
Für den Ersatzraddeckel habe ich zunächst zwei Exemplare von anderen Autos übers Internet gekauft. Sie waren aber leider ein bisschen grösser als das Original und ich musste sie verkleinern.
Für die Reparaturen an der Karosserie habe ich rund 4 m² Blech verwendet !!!
Als ich mit den Blecharbeiten soweit fertig war, ging es an’s Lackieren in meiner Garage – Vorlackierung, Abschleifen mit Vorspritzen einer dunklen Farbe um die Unregelmäßigkeiten besser zu erkennen, wieder Abschleifen und … bis zur fertigen Lackierung. Die grösste Herausforderung war Schleifen, Schleifen und noch mal Schleifen …. Weil der Wagen fast nur Rundungen hat, war es schwer, die Flächen mit einem klassischen Karosserie-Gummikeil rund zu schleifen. Ich habe dazu ein schönes quadratisches Stück aus einem Gummi-Förderband, das man z.B. in
Kiesgruben einsetzt, um den Kies zu transportieren, geschnitten. Seine konkave Form war perfekt geeignet, um mit dem Schleifpapier rundes Blech zu schleifen.
Ich habe mich für die Farbe Weiß entschieden, da ich ein Foto von einer Messe in Algier aus dem Jahr 1936 gefunden hatte, wo der lokale Peugeothändler alle damals angebotenen Peugeot‘s auf seinem Stand zeigte – und alle Autos waren „Elfenbein-Weiß“.
Als nächstes kamen dann die Arbeiten an der Inneneinrichtung – Aufpolstern der Sitze, Nachfertigung und Einbau des Himmels, Herstellung der Holzleisten für das Heckfenster und die hölzernen Zierleisten im Innenraum etc. Die Scheibengummis der Frontscheibe stammen aus einem Bus, auch die Scheibenwischergummis habe ich aus diesem Material nachgefertigt.
Die ganzen Arbeiten habe ich alleine absolviert, jedes Mal, wenn ich ein bisschen Zeit hatte. Der Schwung für das Weitermachen bekam ich, weil ich die Restaurierung regelmäßig im Internet publiziert habe – im Forum des Club 01, der das französische Pendant des Vorkriegsregisters ist. Dort bekam ich stets Tipps und Ermutigungen. Auf diesem Wege nochmals danke dafür.
Abschließend muss ich noch dazu bemerken, dass die Restaurierung noch nicht ganz fertig ist: es fehlt noch der Schwiegermuttersitz und die hinteren Lichter gefallen mir nicht. Ich werde sie gegen schönere austauschen – es steht also ein Bummel-Einkauf in Lipsheim an. Zur Zeit bin ich auf dem guten Weg die Radkappen zu fertigen und das Auto ist (fast) wie neu. Aber kann man, wenn man einen Oldtimer besitzt, je sagen, dass die Restaurierung fertig ist? Ich glaube nicht!!
Ich habe vergessen zu erwähnen, dass ich neben dem 301 D Coupe noch einen 201 D Coach, ebenfalls aus dem Jahre 1936, besitze. Eigentlich hatte ich dieses Auto zuerst und auch schon mit der Restaurierung begonnen, als mir der 301 angeboten wurde. Da das Coupe viel seltener ist, hab ich den 301 vorgezogen und den 201 zunächst zur Seite gestellt. Er musste auch ein bisschen leiden, weil ich ihn ein wenig ausgeschlachtet und etliche Teile daraus für den 301 benutzt habe.
Zum 201 habe ich auch die Geschichte nachgeforscht – als ich den Sohn des ersten Besitzers angerufen habe, war er ganz aus dem Häuschen und konnte es nicht fassen, dass es das Auto, in dem er als Baby gefahren ist, noch gibt. Er hat mir Fotos von seiner Mutter mit dem Auto geschickt. Ich hatte mehr Informationen gesammelt, als er je wusste. Zum Beispiel hatte ich einen Artikel von der Hochzeit seiner Eltern im Figaro Magazine gefunden, den er überhaupt nicht kannte. Es ist wirklich erstaunlich, was man über das Internet nicht alles finden kann!
Bei der historischen Recherche fand ich immer das gleiche Bild – zuerst waren es Ingenieure, die das Auto kauften; die Zweitbesitzer waren meist Angestellte oder Beamten und letztendlich wurde der Wagen an gewöhnliche Arbeiter weitergegeben.
301 Coupé / Cabriolet kosteten 1935/1936 rund 19.900 Francs und für den Schwiegermuttersitz wurden 500 Franc Zuschlag aufgerufen. Ein Arbeiter verdiente 1936 ungefähr 800 Franc monatlich, er hätte also für ein 301 Coupé 25 Monate arbeiten mussen. Zum Glück konnte man schon damals in Raten bei Peugeot zahlen! Wenn man den damaligen Preis mit dem aktuellen Durchschnittslohn in Frankreich vergleicht, würde der 301 heute um die 30.000 € kosten.
Den 201 werde ich wahrscheinlich – nach einer kleinen Pause – wieder in Angriff nehmen. Als mich ein Journalist einer Lokalzeitung, der einen Artikel über die Restaurierung des 301 geschrieben hat, fragte, was ich machen wolle, wenn der 301 fertig ist, habe ich ihm geantwortet: „Ein bisschen mehr Zeit meiner Frau widmen”. Das hat er in der Zeitung geschrieben und der Satz wurde ein romantischer Herzensbrecher für alle Frauen, die den Artikel gelesen und nur diese Passage des Artikels erwähnt haben !!
Grüsse aus Frankreich
Rémy VOEGEL