von Michel Trikowski
Mein 402 wird „Madame“ genannt, weil in Frankreich die Autos weiblich sind und sie schon ein wenig vornehm und gemächlich erscheint.
Laut Bestätigung von Peugeot wurde sie am 20.01.1938 zugelassen und von der Garage Fallou in Etampes (südlich von Paris) verkauft. Laut handschriftlicher Notiz des Erstbesitzers “Mise en route” bereits am 19.01.1938. Das Nummernschild 6779 RQ 47 blieb in Frankreich die ganze Zeit bestehen.
Der Erstbesitzer notierte im Folgenden den Benzin und Ölverbrauch.
(Diese Bleistiftnotizen sind erfreulicherweise noch vorhanden)
- 1938 12.819 km gefahren, 33 l Öl gebraucht = 0,25 l/100 km
- 1939 Bei 17.766 km brauchte er bereits 2 neue Reifen
- 1940 Am 19.04 Eintrag 26.587 km
Hier enden die französischen Notizen der Vorkriegszeit.
Am 10. Mai 1940 begann der Frankreichfeldzug der Deutschen Wehrmacht. Wie mir vom Vorbesitzer mündlich mitgeteilt wurde, wurde das Fahrzeug wohl vor den Deutschen versteckt und bis in die 90er Jahre nicht bewegt.
Darüber existieren aber bisher leider keine Unterlagen. Ich würde mich sehr freuen, wenn mir da jemand mit Verbindungen nach Frankreich bei der Aufklärung helfen könnte. Ich hatte leider bisher keinen Erfolg. Eventuell wurde das Fahrzeug im Süden im Bereich des Vichi Regimes versteckt.
Die deutsche Wehrmacht besetzte Sochaux und ließ sich dort Fahrzeuge für die Wehrmacht bauen, vor allem 402 (der 402 war begehrt wegen seiner Bodenfreiheit. 1500 Exemplare wurden u.a. von der französischen Armee übernommen) und DMA (hiervon wurden wohl ca. 15.300 für die Wehrmacht hergestellt). Peugeot hüllt sich über diese Zeit in Schweigen.
Laut Carte grise wurde mein 402 von April bis November 1990 in Avallon (Yonne) wieder zugelassen. Ab da gibt es folgende Unterlagen:
11-07-1990
Rechnung einer Werkstatt aus Avallon an einen Herrn Rousseau aus Avallon über zahlreiche Instandsetzungsarbeiten incl. Lackierung.
11-07-1990
Tüv Bericht Avallon
KM-Stand 57.036 !?
Besitzer Rosada Bruno, Avenue Jean Jarvais in Aven ????
Kommentar: Fahrzeug komplett renoviert ???
Irgendwie müssen zwischenzeitlich (seit Ende der Notizen im April 1940) 30.000 km mit einem verstecktem bzw. nicht zugelassenem Auto gefahren worden sein!
11-08-1990
Certificat d immmatriculation
Carte grise für Rousseau Gerard, Rue Nicolas Carstie, Avallon
Juli 1992
Madame wurde in die Schweiz verkauft
Die Carte grise erhielt die Aufschrift
Vendre – Vehicule exporte – 24-07-92 –
und einen Zollstempel aus Saint Louis
24-07-1992
Prüfbericht des Zollamts Basel für Peugeot 402 B (falsch)
3. Quartal 1992
Das Auto erhält neue Reifen, eine Auspuff- und Bremsrevision, einen großen Motorservice sowie Blinkernachrüstung hinten
13-03-2002
Rechung über Anlasser komplett überholt, neu gelagert von Fa. Würgler, Gränichen, Schweiz
Ca. 2006 – Verkauf nach Frankfurt
Dort ist das Auto wohl während dieser Zeit nicht gelaufen.
02-07-2017
Madame wurde von mir beim Tacho-Stand 58.266 gekauft. Motor lief beim Kauf nicht, hatte keine Kompression, Vergaser war demontiert und der Kauf war deshalb ein Risiko.
Zuerst habe ich den Kraftstoffstrang sowie den Vergaser gereinigt und überholt, den Tank gesäubert und beschichtet. Im Anschluss den Anlasser betätigt: nach 5 Umdrehungen war der Motor zu meiner Freude da und lief sehr ruhig. Die Kupplung wollte anfangs nicht so recht, hat sich aber dann beruhigt.
Während der folgenden Kilometer bekam Madame eine neue Zündspule, Bremsen wurden geprüft, vorne sicherheitshalber neu belegt und eingestellt. Giraffen-Rücklichter (siehe Bild) wurden entfernt und die Beleuchtung wieder dem alten Original angenähert.
März 2018
Madame hat den TÜV Deutschland mit H-Kennzeichen bestanden (ist ebenfalls eine eigene Geschichte).
Anlasser nach Ausfall überarbeitet. Lichtmaschinenlager hatte Standschäden, neu gelagert.
Bei Wasserpumpe Keilscheibe von Keilriemenscheibe defekt, Pumpe überholt.
Zur Zeit baue ich einen 2. Motor eines identischen, aber zerlegten 402 gleichen Baujahres auf (siehe technische Tipps), da die Zündkerzen des Original-Motors relativ oft verölten. Die Vermutung war, dass die Ölabstreifringe nach so langer Zeit verklebt sind und nicht mehr abdichten. Natürlich ist ein Fahrzeug mit „Matching Numbers“ gut, aber so konnte ich Madame während der doch langen Zeit der Motorrevision weiter fahren und genießen.
Nachdem ich mich entschlossen hatte, den 2. Motor herzurichten und bereits mitten in dem Projekt war, habe ich mir vorgenommen, den von mir neu aufgebauten Vergaser noch einmal zu überprüfen, da er Benzinspuren aufwies. Dabei stellte ich fest, dass der Schwimmer 2 mm zu hoch eingestellt war. Ich korrigierte das und danach waren die Zündkerzen viel weniger verölt bzw nass… ;-(
… Also: checkt euer Schwimmerniveau!
(dazu werde ich bei Gelegenheit auch einen Bericht für die Technik schreiben)
Bisher lief „Madame“ nun bei mir über 4.000 km. U.a. war ich mit ihr bei den “Golden Oldies 2019” in Wettenberg.
Das Besondere an diesem Auto: Es ist innen komplett original mit alten Bezügen. Deshalb habe ich es auch gekauft. Die Originalsubstanz ist einfach im Vergleich zu einer kompletten Restauration sehr faszinierend, auch wenn sich Wasserflecken im Stoff und ein gewisser Geruch wie bei alten Damen zeigen (die zweibeinigen Damen mögen mir verzeihen).
Auch die übrigen Komponenten sind unrestauriert, selbst die Scheibendichtungen sind original und noch erstaunlich dicht.
Wenn man einen Oldtimer kauft, weiß man am Anfang selten alles über den Typ und findet nach Einarbeitung in das Thema immer wieder Überraschungen, manchmal auch schöne:
So stellte ich erst nach dem Kauf fest, dass meine Madame ein für den 402 seltenes Stahlschiebedach hat und bereits die damals neuen Pilote Felgen. Der Nachfolger 402 B hatte dies dann als serienmäßige Ausstattung. Überhaupt scheint mein 402 als einer der letzten aus der ersten Serie gefertigten Wagen Anfang 1938 vor Beginn der Produktion des 402 B bereits viele Merkmale des späteren Modells aufzuweisen.
Weitere Details sind Bestandteil der Ausführung 402 N4T. Peugeot machte das damals nicht viel anders als heute. Es gab das Standardmodell und natürlich immer luxuriösere Varianten gegen Mehrkosten. So gab es 1938 den N4, N4Y „Luxe“ und den N4T, genannt Grand Tourisme.
Dieser hatte die Ausstattung des N4Y Luxe mit 2. Sonnenblende, über Bowdenzug von innen verstellbare Scheinwerfer, elektrische Winker, einen Rückspiegel, eine Hutablage und die Möglichkeit der Regulierung des Benzinverbrauchs des Vergasers von innen zwischen economique und sportive. Das war nichts anderes als eine Begrenzung der Drosselklappenöffnung, für die 1930er Jahre aber wohl sehr fortschrittlich gedacht.
Zusätzlich hatte der N4T aber als Innovation tatsächlich noch eine Heizung!
Der tatsächliche Benzinverbrauch von 10 – 12 l/100 km ist für die damalige Zeit wenig. Der Ölverbrauch war laut der Notizen des Erstbesitzers 23 l auf 12.819 km = 1,8 l/1000 km.
Nachdem ich nach Kauf einen Kleidermottenbefall im Naturfaserbezug feststellte, bekämpfte ich das erfolgreich mit Schlupfwespen und stellte dabei fest, dass es auch Verantwortung mit sich bringt, so eine alte Madame zu haben.
Nicht uns gehören die Fahrzeuge, sondern wir gehören den Autos und dürfen sie als historisches Gut pflegen.
Als I-Tüpfelchen fand ich beim Reinigen zu meiner Freude unter der Rücksitzbank den original Wagenheber und die Anlasserkurbel.
Michael Trykowski 2021-01-11