25.3.1944 – Entmachtung des Peugeot-Vorstandes

Vorgeschichte: Das Peugeotwerk in Sochaux wurde im Herbst 1940 von deutschen Truppen besetzt und baute zunächst bis 1942 auf deutsche Normen umgerüstete 402-Limousinen für die Wehrmacht und die Waffen-SS. Außerdem entstanden bis zur Bombardierung des Werks im Jahr 1944 rund 10.000 LKW des Typs DK5 mit modifizierten 402-Motoren, die weitestgehend an die in Russland eingesetzten Einheiten der Waffen-SS geliefert wurden.

Ab Beginn hatten die deutschen Besatzer mit Sabotageakten im Werk zu kämpfen, was dazu führte, dass das Werk Mitte 1943 der Firmenleitung von VW unterstellt wurde. Nachdem das nicht zum gewünschten Erfolg führte, und die Schuler-Karosserie-Presse am 22. März 1944 Gegenstand eines Sabotageaktes wurde, griff die Gestapo ein.

Hitler und Prof. F. Porsche 1923 auf Propagandafahrt durch Bayern
Hitler und Prof. F. Porsche 1923 auf Propagandafahrt durch Bayern
Auguste Bonal

Am 23. März 1944 wurden die Direktoren des Peugeot-Werks Sochaux – das waren Robert Godard, Auguste Bonal (Foto links) , Louis Margaine, Emile Fabrizio, Raoul Delattre sowie Ernest Mattern – verhaftet. Die Gestapo warf ihnen vor, dass die Geschäftsführung von Peugeot nicht den Vorgaben entsprach und möglicherweise Widerstandskämpfer gedeckt wurden.

Da seit der Festnahme der französischen Führungskräfte die Situation nicht mehr beherrscht wurde, befürchteten die deutschen Besatzer außerdem einen Aufstand der Belegschaft. In Zugzwang beruft die Gestapo die Verantwortlichen der Volkswagenwerke, dem Unternehmen, das seit März 1943 das Patronat für Peugeot übernommen hatte, nach Sochaux.

Am Morgen des 24. März 1944 befinden sich Professor Ferdinand Porsche und sein Schwiegersohn, Dr. Anton Piёch, in Begleitung von Mitgliedern der Gestapo im Werk in Sochaux. Porsche und Piёch waren seit den 1920er Jahren mit der aufsteigenden NSDAP bzw. Adolf Hitler in Kontakt. Sie wurden über die Vorkommnisse des Vorabends sowie über die aktuelle Lage in Kenntnis gesetzt. Um 11.00 Uhr trafen sie mit den Herren Marty und Richoux zusammen, die die Geschäftsleitung des Werks übernehmen mussten.

Die Debatte gleicht einem langen Monolog der Deutschen. Piёch hegt Bedenken. Man beginnt mit der Erinnerung daran, dass Auguste Bonal, Direktor des Presswerks , bereits 1943 verhaftet wurde: „Er hat uns jedoch versichert, keinen Kontakt zu ausländischen Kräften zu haben. Auch hatte Professor Porsche seinen Einfluss an höherer Stelle geltend gemacht, um ihn freizubekommen. Dazu kommt, dass die Gestapo dieser Befreiung nur dann zugestimmt habe, wenn „die Geschäftsführung von Peugeot alle erdenklichen Maßnahmen ergreifen würde, um neue Sabotageakte zu verhindern.“

Marty wagt, darauf hinzuweisen, dass man nicht hinter jeder Maschine eine Wache aufstellen könne. Der Leiter der Gestapo stieß hervor: „Die Sabotageakte machen deutlich, dass sie von der Führungsspitze des Unternehmens ausgehen. Es sind immer die für neue Programme erforderlichen Maschinen, die ausfallen! Dies ist kein Zufall. Wer, außer der Geschäftsführung, kennt die von VW gewünschten Programme?“ „Die Interessen von VW“, so Piёch, „bestehen ausschließlich in Fragen zur Ausführung von Produktionsprogrammen. Es ist jedoch unmöglich, in diesem Werk zu arbeiten.“ Porsche ergreift das Wort: „Ich war vor fünf Wochen hier. Ich habe festgestellt, dass es nicht möglich ist, dieses Werk bewachen zu lassen. Die Arbeiter müssen sich selbst schützen. Ich habe noch nie ein Werk gesehen, in dem es erforderlich ist, mit einem Revolver umher zu laufen. Es ist ein Drama!“

Piёch versucht, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Er stellt dar, dass VW „lediglich die Rolle übernommen hätte, Peugeot in der Ausführung der Aufträge zu leiten. Man solle nicht mit einer Unterstützung von VW bei der Überwachung von Peugeot rechnen.“

Der Gestapo-Mann teilt diese Meinung nicht. „Die Geschäftsführung von Peugeot verrichtet nicht ihre Arbeit. Aber mit VW sollte Ruhe einkehren, daher auch mit deren Hilfe. Und wenn dies nicht der Fall sein sollte, so wird die Gestapo eingreifen. VW und Peugeot werden die Geschäftsführung über das Werk verlieren, was für VW sowie für Peugeot eine große Diskreditierung bedeuten würde.“

„Ich war es“, unterbrach Porsche, “der eingegriffen hat, damit VW „Pate“ von Peugeot wurde. Es wäre mir persönlich äußerst peinlich, und für VW wäre es eine große Demütigung, wenn ich nach neun Monaten Minister Speer erklären müsste, dass wir mit Peugeot nichts anfangen können“.

„Aber was macht denn Monsieur Jean Pierre Peugeot?“ unterbrach der Gestapo-Mann, „Wir haben den Eindruck, er verfolgt eine Vogel Strauß-Politik. Es muss ein gegenseitiges Vertrauen zwischen VW und ihm aufgebaut werden. Daher ist es unbedingt erforderlich, ein Treffen mit Monsieur Peugeot zu arrangieren.“ „Aber er ist in Paris“, erklärt Marty. Porsche bekräftigt: „ Die Geschäftsleitung von Paris sollte in Sochaux sein und versuchen, eine Wiederholung solcher Vorfälle zu vermeiden.“
Der Gestapo-Mann beharrt darauf: „VW muss Monsieur Peugeot treffen. Und zwar schnellstens“.

Marty ruft in Paris an und erhält einen Termin für den nächsten Morgen um 9 Uhr. Treffpunkt Paris, Rue de Berri. Ferdinand Porsche und Anton Piёch machen sich schnell auf den rund 500 Kilometer langen Weg …

Das Treffen des 25. März stellt eine erstaunliche Lektion in Sachen Täuschung dar. Porsche kündigt geschickt an, dass „die Sabotageakte, die das Werk in Sochaux erschüttern, vom Ausland angezettelt werden. Es gäbe jedoch Komplizen unter den Arbeitern und es wäre unmöglich, jedem Arbeiter einen Aufpasser zur Seite zu stellen. Das Personal habe Angst, Denunzierungen auszusprechen: man fürchte um sein Leben.“

„Bei all den bewaffneten Soldaten in jeder Gasse des Werkes liegt diese Gefahr ja auch wirklich nahe“, schiebt der Generalsekretär Maurice Jordan ein. Jean-Pierre Peugeot stimmt zu: „Wir sind keine Polizisten.“
„Monsieur Peugeot“, unterbricht Piёch, „die Gestapo erklärt sich die Spannung in ihren Werken durch ihre absichtlich niedrig gehaltenen Löhne. Auf diese Art und Weise erzeugt und unterhält man eine Atmosphäre der Unzufriedenheit. Ändern Sie innerhalb von vierzehn Tagen Ihr Entlohnungssystem, damit wieder Ruhe in ihre Produktions-stätten einkehrt. Die Gestapo ist der Überzeugung, dass Peugeot ein schlecht geführtes Industrieunternehmen ist.“

„Wir zahlen den Tarif, den wir zahlen müssen“, antwortet Jordan. „Gemäß dem Gesetz. Ebenso erfüllen wir sämtliche sozialen Verpflichtungen: Tagelohn, Verpflegung, Kantine, Besohlung der Schuhe …“ „Lassen Sie uns nicht darüber sprechen“, unterbricht Piёch. „Der Stücklohn muss eingeführt werden, was die Produktion profitabler machen würde.“
Porsche beteuert: „ Die Gestapo ist der Meinung, dass durch einen Wechsel des Entlohnungssystem Ruhe einkehren kann.“

Jean-Pierre Peugeot ergreift das Wort und gibt ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen zu bedenken: „ Vor dem Krieg wurden in Sochaux alle nach Stunden bezahlt. Es existierte hier niemals ein Stücklohn bzw. eine Entlohnung nach Arbeitsleistung. Ein Arbeiter sollte lediglich eine gewisse Anzahl von Teilen innerhalb einer Stunde herstellen.“
Piёch gab gereizt zurück: „Wenn ich Ihnen doch sage, die Gestapo spricht von einem schlecht geführten Unternehmen. Darüber hinaus ist sie der Meinung, dass die Arbeiter sich mit dem, was sie verdienen, nicht einmal auf dem Schwarzmarkt versorgen können.“

Jean Pierre Peugeot
Jean Pierre Peugeot

„Wir schweifen vom Thema ab“, beginnt Porsche wieder und kommt auf seinen Verdacht zurück. „Wir müssen Ruhe in das Werk bringen und wir fragen uns, ob die oberste Führung von Peugeot dies von ihrer Seite auch wirklich möchte.“
„Herr Dr. Porsche“, fragt Jean-Pierre Peugeot, „glauben Sie wirklich, dass ein Industrieller darüber froh sein kann, seine schönen Maschinen zerstört zu sehen?“
„Gut, dann sprechen Sie mit Ihrem Personal“, lässt Piëch fallen.
Jean-Pierre Peugeot versucht, seine Redegewandtheit zur Befreiung seiner Direktoren einzusetzen. Mit Zynismus und Verachtung bekommt er eine Abfuhr: „Ihr Franzosen habt die Vorstellung, dass die deutsche Industrie, die deutschen Behörden und die deutsche Polizei ein und dasselbe sind. Und wenn etwas passiert, denkt ihr, dass wir unverzüglich eine Befreiung vollziehen können. Dies ist nicht der Fall.“

Das Ergebnis des Treffens ist, dass Jean-Pierre Peugeot nach Sochaux fährt und eine ihm von den Deutschen auferlegte Beschwichtigungsrede an die Belegschaft hält, die ihm nach dem Krieg negativ vorgehalten wird.

Diese Rede ändert jedoch nichts an den seit 1943 mit der Résistance bestehenden Verabredungen:
Das Haus Peugeot motorisiert die Netzwerke des Widerstandes, versorgt die französischen Widerstandskämpfer mit Lebensmitteln und Kleidung, beherbergt Untergrundkämpfer im Cercle-Hotel, streckt 2,5 Millionen Francs vor, um Schulden der FFI (Force France Interieur) zu begleichen. Und gleich nachdem man die Pläne zur V1-Rakete in die Hand bekommen hatte, leitete man diese nach London weiter.

Quelle: Die Chronik von Jean-Louis Loubet – Professor der Wirtschaftsgeschichte an der Universität von Evry-Val d’Essone. Die Texte und Anmerkungen stammen aus Peugeot-internen Archiven, welche die Ereignisse des 23., 24. und 25. März 1944 nachvollziehen.