Von unserem Mitglied Michael Schlenger
Um die vorletzte Jahrhundertwende steckte das Automobil noch in den Kinderschuhen und war ein teures Vergnügen – doch früh verlockte es seine Besitzer dazu, abseits der Eisenbahnstrecken und unabhängig von Fahrplänen die Wunder der Welt aufzusuchen. Magische Anziehungskraft übte in Mitteleuropa das an Kulturschätzen so reiche und von der Natur gesegnete Italien aus. Tatsächlich war das Auto schon kurz nach 1900 so weit ausgereift, dass man sich damit auf eigene Faust ins Land der Sehnsüchte begeben konnte.
So unternahm anno 1902 der Journalist und Schriftsteller Otto Julius Bierbaum mit seiner Frau eine Italienreise in einem 8 PS-Adler, den ihm das Werk in Frankfurt/Main in vollem Vertrauen auf die Qualitäten des Wagens zur Verfügung gestellt hatte. Über den Gotthardpass bis hinunter nach Sorrent am Golf von Neapel trug der Adler damals seine Insassen. Verewigt hat Otto Julius Bierbaum dieses Abenteuer sehr lesenswert in seinem Buch „Empfindsame Reise im Automobil”. Über das Auto verliert der Autor übrigens kaum ein Wort, ihn interessierten nur Land und Leute – der Adler war reines Mittel zum Zweck. Jedenfalls gilt Bierbaum hierzulande als erster Automobiltourist, der nicht zu sportlichen Zwecken, sondern aus Reiselust die Alpen überwand – vielleicht ist einem Leser aber eine noch frühere solche Episode bekannt.
Solche Geschichten weckten natürlich bei vermögenden Automobilbesitzern das Interesse, sich ebenfalls im eigenen Wagen gen Süden aufzumachen. Dazu muss auch dieser Herr gehört haben, der es im Gebirge schon hoch hinausgebracht hatte, als seine Begleitung dieses Foto anfertigte:
Meine Recherchen gelten mehr dem sportlich karossierten Zweisitzer als dem Ort, an dem das Bild entstand. Der Wagen wirkt mit seinem senkrecht im Wind stehenden Kühler schon ein ganzes Stück moderner als der Adler von 1902, der Otto Julius Bierbaum zur Verfügung stand. Autos mit solchen Kühler, die oben einen eckigen Wasserkasten besaßen, gab es ab etwa 1903 einige. Den Hersteller dieses Wagens konnte ich anhand der Form der Plakette; die sich mittig auf der Schottwand befindet, welche Motor- und Fahrerraum voneinander trennt, als Peugeot identifizieren.
Ein Blick in Wolfgang Schmarbecks deutsches Standardwerk zu der Marke (Motorbuch-Verlag, 1. Auflage 1980) bestätigte dies. Die erwähnte Kühlergestaltung findet sich bei Peugeot-Wagen erstmals bereits 1903, ich tippe hier aber eher auf das Modell “Bebe”, offiziell Typ 69, aus dem Jahr 1905, das mit einem Zylinder aus 650 cm³ 5 PS leistete.
Alternativ könnte es noch ein Typ 63 (2 Zylinder, 1,078 cm³, 7 PS) sein, dieser wurde aber nur mit 4-sitzigen Tonneau- oder Cabrio-Limousinen-Karosserien ausgeliefert. Auf jeden Fall haben wir es hier mit einem der kompakteren damaligen Peugeot-Typen zu tun, die meist noch deutlich weniger als 10 PS Höchstleistung aufwiesen. Maximal 40 bis 50 Stundenkilometer konnten damit erreicht werden, auf alpinen Bergstrassen wie der auf dem Foto sicherlich deutlich weniger.
Der entscheidende Vorteil des Automobils war aber – damals wie heute – die Unabhängigkeit des Reisens und der unmittelbare Genuss der Landschaft – was beides mit der Eisenbahn nicht möglich war.
Schon früh müssen sich geschäftstüchtige Leute gefunden haben, welche die Benzinversorgung entlang der von den Automobilisten bevorzugten Routen gesichert haben. Diese Infrastruktur hat sich damals in raschem Tempo ohne staatliche Unterstützung quasi von selbst entwickelt. Wir betrachten sie heute als selbstverständlich, profitieren dabei aber immer noch von der Pionierarbeit unserer Altvorderen, welche damals den Aufstieg des Autos ermöglichten.