Grundstein für die moderne Mobilität – der Luftreifen

Auch hier war Peugeot in Zusammenarbeit mit Michelin ein Vorreiter

Werbeplakat für Michelin Reifen

Am 28. Februar 1888 erfand der Tierarzt John Boyd Dunlop den Luftreifen, auf dessen Grundprinzip auch heutige Reifen noch funktionieren. Die heute alltägliche Idee war Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des automobilen Zeitalters eine bahnbrechende Neuerung.

Wie so oft, hatte der Erfinder nicht die Revolutionierung einer ganzen Industrie im Auge, sondern wollte nur für seinen Sohn, der sich über sein schwerfälliges Dreirad beschwerte, etwas verbessern und gleichzeitig den Lärm, den die Holzräder machten, reduzieren.
Da er in seinem Beruf schon mit Kautschuk zu tun hatte, formte er kurzerhand eine dünne Gummiplatte zum Schlauch, zog ihn auf eine Holzscheibe, bedeckte ihn mit Leinenstreifen, nahm einen Schnuller als Ventil und pumpte das Ganze auf. Bis spät in der Nacht testete Dunlop Junior das Gefährt. Am nächsten Morgen untersuchten Vater und Sohn die Reifen auf Schäden durch den rauen Untergrund – die neuen Luftpneus hielten jedoch einwandfrei.

Dreirad mit Dunlop-Luftbereifung
Dreirad mit Dunlop-Luftbereifung

Daraufhin testete Dunlop seine Erfindung über 60 Meilen, ohne eine Panne zu haben – am 23. Juli 1888 meldete er sie zum Patent an. Ein ihm unbekanntes, 40 Jahre älteres, nahezu identisches Patent von William Thompson hatte sich nicht durchsetzen können. Inzwischen war es in Vergessenheit geraten und abgelaufen. Aber es führte dazu, dass die Grundidee des Dunlop-Patents nicht geschützt werden und sie so von Konkurrenten wie z. B. Michelin aufgegriffen und weiterentwickelt werden konnte.

Ein Jahr später begann die “The PneumaticTyre and Booth Clyde Agencie Ltd”, die Dunlop mit Harvey Du Cros zusammen gegründet hatte, mit der Reifenproduktion in Belfast.

Mangels Automobilen wurden Reifen für die Fahrradindustrie gefertigt. Den ersten Wettbewerbserfolg feierten Dunlop-Reifen im Mai 1889 bei den Queens-College-Sportspielen. William Hume, der als durchschnittlicher Radfahrer galt, startete mit der Neuentwicklung und gewann alle seine Rennen gegen auf dem Papier klar überlegene Konkurrenten.

Bereits 1895 beim ersten Autorennen der Welt – der Fernfahrt Paris/Bordeaux/Paris – wurden erstmals Luftreifen auf einem Automobil eingesetzt:

Bereits 1895 beim ersten Autorennen der Welt -  der Fernfahrt Paris/Bordeaux/Paris - wurden Luftreifen auf einem Automobil eingesetz

Entgegen der ersten Fernfahrt 1894 handelte es sich im Jahr 1895 bei dem 1.175 Kilometer langen Wettbewerb von Paris über Bordeaux nach Paris um ein reinrassiges Rennen, bei dem es nicht nur darauf ankam, es bis zum Ziel zu schaffen, sondern auch eine bestimmte Zeit zu erreichen. Als maximale Renndauer legten der organisierende Touring Club de France und die Medienunternehmer James Gordon Bennett und William Vanderbilt für die gegenüber dem Vorjahr fast zehnmal so lange Distanz 100 Stunden fest.

Über drei Millionen Zuschauer säumten die Strecke. Der Sieger des rund zwei Dutzend Fahrzeuge umfassenden Feldes, Émile Levassor auf Panhard et Levassor, benötigte letztendlich etwas weniger als die Hälfte: 48 Stunden und 47 Minuten. Stolz war der Sieger über die Tatsache, den bisherigen, von Radfahrern aufgestellten Rekord gebrochen zu haben.

Allerdings wurden Levassor und der Zweitplatzierte, über sechs Stunden später das Ziel erreichende Peugeot-Lenker Rigoulot nachträglich disqualifiziert, da ihre Autos nur Platz für zwei Personen boten und damit gegen das Reglement verstießen. So kam der Drittplatzierte, der Peugeot-Fahrer Koechlin, in den Genuss der 70 000 Francs Preisgeld.

Interessant ist aber auch die Tatsache, dass, während die Konkurrenz mit klassischen Fuhrwerksrädern (Laufflächen aus Eisen oder hartem Kautschuk) unterwegs war, erstmals ein Fahrzeug mit Luftreifen ins Rennen ging:

L'Eclaire (Der Blitz) - Peugeot Typ 3 - modifiziert mit Luftreifen

Bilder oben und unten:
L’Eclaire (Der Blitz) – Peugeot Typ 3 – modifiziert mit Luftreifen, gefahren von den Brüdern Michelin

L'Eclaire (Der Blitz) - Peugeot Typ 3 - modifiziert mit Luftreifen, gefahren  von den Brüdern Michelin

Die Gebrüder Michelin starteten mit ihrem Eigenbau “L’Eclair” (der Blitz) auf Basis eines Peugeot Typ 3 mit 1-Zylinder Daimlermotor, auf dem sie auswechselbare Luftreifen aus eigener Produktion montiert hatten. Sie erreichten das Ziel zwar in der vorgegebenen Zeit, wurden aber nachträglich disqualifiziert, weil die Reifen aufgrund zahlreicher Defekte mehrfach an eigens dafür eingerichteten Wechselstationen entlang der Strecke getauscht worden waren. Immerhin war die Alltagstauglichkeit der Erfindung von Edouard Michelin damit bewiesen.

L'Eclaire - heute zu sehen im Musee "L'Aventure Michelin" in Clermont-Ferrant
L’Eclaire – heute zu sehen im Musee “L’Aventure Michelin” in Clermont-Ferrant

Der Siegeszug der Luftbereifung war nun aber nicht mehr aufzuhalten, auch wenn es noch drei Jahre dauern sollte, bis 1898 die ersten serienmäßig luftbereiften Automobile auf den Markt kamen. Aber dann ging es rasant: bereits 1900 begann die Serienproduktion von Autoreifen.

Bibendum - fast so alt wie die Fa. Michelin
Bibendum – fast so alt wie die Fa. Michelin

Boyd Dunlop hatte seine Firmenanteile und das Patent bereits 1896 an
Du Cros übertragen, weil er sich angeblich nicht mit den “robusten” Geschäftsmethoden der Industriellenfamilie anfreunden konnte. Er investierte den geringen Gewinn aus dem Reifengeschäft in eine kleine Textilfirma und betrieb außerdem seine Tierarztpraxis weiter.