Ein Beitrag von Dr. Oliver Schnädelbach
Peugeot ist einer der ältesten französischen Autoproduzenten. Um 1800 als Gießerei und mechanische Fabrik im Jura beginnend, wurden ab 1885 Fahrräder und ab 1889 Kraftfahrzeuge produziert. Nachdem erste Versuche mit Serpollet-Dampfmotoren unbefriedigend blieben, wechselt man ab 1891 auf einen Daimler-Benzinmotor. Ab 1896 werden nur noch eigene Motorkonstruktionen verwendet. In den zwanziger Jahren (und übrigens auch zwischen 1950 und 1980) galten Peugeots als etwas biedere, solide Vehikel, die leicht zu fahren seien.
Die Weltwirtschaftskrise nach 1929 überstand die Firma dank des praktischen Kleinwagens 201, übrigens der erste mit der später patentierten Ziffer-Null-Ziffer Bezeichnung, die bis heute gültig ist. Dieser Wagen und die davon abgeleiteten vergrößerten Modelle 301, 401 und 601 fußten im Design noch stark in den Zwanzigern, mit steilem Kühlergrill und Frontscheibe, freistehenden Scheinwerfern und kastenartigem Design. Ein Vorgriff auf künftigen Luxus ist das 601 Eclipse Cabrio mit elektrisch versenkbarem Metalldach vom Frühjahr 1934.
Zwei Ereignisse rütteln Peugeot 1934 aus seiner Selbstzufriedenheit: Der Citroen 7CV (Traction Avant – Vorderradantrieb) wirbelt mit moderner Technik und ansprechendem Äußeren den heimischen Markt durcheinander und in Amerika erscheint mit dem Chrysler Airflow der erste serienmäßige Stromlinienwagen.
In Sochaux arbeitet man fieberhaft an einem Nachfolger für die altbackenen 401/601, und auf dem Pariser Salon 1935 wird der 402 vorgestellt, dem die Fachpresse sogleich den Spitznamen „Spindel aus Sochaux“ verpasst. Der Wagenkasten ist aerodynamisch gerundet, die Scheinwerfer wandern in enger Stellung zwischen die Kotflügel HINTER den Kühlergrill, was den Fahrzeugen mit dem Löwenemblem bis zum Kriege ein völlig neues Aussehen verleiht
Technisch ist der 402 weniger innovativ als der Traction Avant, aber man entschließt sich doch zu einem 2-Liter Vierzylinder mit hängenden Ventilen und einem teilsynchronisierten Dreiganggetriebe, das später durch eine elektrisch vorwählbare Version von Cotal ergänzt wird. Schnell entsteht eine Reihe von Varianten: Cabrios, Sechs- bis Achtsitzer mit verlängertem Radstand und Lieferwagen. Ende 1936 erscheint eine verkleinerte Variante, der 302 mit 1.7-Liter Motor.
1937 wird der 402 Légère herausgebracht, der nichts anderes ist als ein 302 mit dem großen Motor – sozusagen der Golf GTI seiner Zeit. Im 1938er Katalog wird die Baureihe nach unten mit dem kleinsten Modell, dem 202, abgerundet. Auch hier findet sich ein obengesteuerter Vierzylinder, allerdings mit nur 30PS statt 63 wie im 402 und entsprechend lediglich 1133ccm Hubraum. Die Modellpalette umfasst ein Vollcabrio, eine Cabriolimousine mit Rolldach, die als Berline bezeichnete Basislimousine, auch in Luxusausführung erhältlich, und einen Kleinlieferwagen (Fourgeonette oder Familiale Commerciale). Typischerweise dürfte der 202 von Landärzten, Vertretern und jungen Aufsteigern gefahren worden sein. Dieses Modell, in direkter Konkurrenz zum Simca 8, Renault Juvaquatre, Licorne 6CV und Rosengart Super Cinq stehend, verkauft sich insgesamt 140.000 mal in allen Varianten. Die Produktion wird 1940 kriegsbedingt eingestellt und 1946 wieder aufgenommen. Die Nachkriegsmodelle sind im Stil der Zeit sparsamer gehalten: keine „Pilote“-Räder mehr, keine Reserveradabdeckung, der Tankdeckel rückt vom Zentrum des Reserverads auf den hinteren Kotflügel, die Sitze verlieren ihre Chromgriffe, aber immerhin entschließt man sich im letzten Baujahr (48/49) noch zur Einführung von hydraulischen Bremsen von Lockheed. Die Produktion der Modelle 302 und 402 wird nicht wiederaufgenommen und erst der 203 von 1948 stellt eine richtige Neukonstruktion dar.
Schätzungen zufolge existieren in Frankreich noch etwa einige hundert 202, in Deutschland wohl weniger als 100 und in England höchstens 5.
Zur Geschichte meines 1939er Berline Luxe:
Laut Fahrgestellnummer eines der ersten 5000 gebauten Fahrzeuge, noch mit dem ursprünglichen Kastenrahmen, der bereits VOR der Hinterachse endet und nur noch die vordere Aufnahme der Viertelelliptikfedern trägt. Gekauft von einer Dame aus dem südlichen Pariser Umland, wird das Auto über zwanzig Jahre hinweg zum täglichen Pendeln zur Arbeit benutzt, übersteht den Krieg eingemauert in einer Garage und entgeht somit der Requisition durch die Wehrmacht, was vermutlich einen frühen Tod in Russlands Sümpfen bedeutet hätte. Nach ihrem Tode geht das Fahrzeug auf den Neffen über, der es einmal jährlich mit einer Tagesversicherung ausgestattet zur Ausfahrt nutzt und im Jahre 1996 wegen Umzugs an den jetzigen Besitzer verkauft. Aufgrund der geringen Geschwindigkeit (auf Dauer um 65km/h, Spitze 100 km/h) und der mangelnden Sicherheitseinrichtungen wird das Auto derzeit vorwiegend für kurze Ausfahrten und Ausstellungen genutzt.
Technische Daten: