Oft totgesagt – doch die Vorkriegsszene lebt!

In der deutschen Oldtimerszene hört man oft, dass sich kaum mehr jemand für die Fahrzeuge der Zeit vor dem Krieg interessiere. Zu diesem Eindruck mag vor allem beitragen, dass sich die Berichterstattung in den deutschen Klassikermagazinen aus eigennützigen, monetären Gründen auf die noch massenhaft verfügbaren Großserienwagen der 1950er bis 70er Jahre konzentriert, was ein gewisses Käuferinteresse garantiert. Leider verkommen diese Zeitschriften daher in den letzten Jahren immer mehr zu lobhudelnden Werbeblättchen für Mercedes, Porsche und wenn es hochkommt noch Ferrari.

Bei näherem Hinsehen findet man jedoch etliche Veranstaltungen, bei denen Vorkriegsfahrzeuge eine wichtige oder sogar die Hauptrolle spielen. Dabei scheint auch der Generationswechsel zu funktionieren, wie man an der Präsenz junger Teilnehmer ablesen kann, die sich übrigens auffallend für Themen wie originale Patina und zeitgenössische Kleidung begeistern.

Bugatti aus den 1920er bei der Solitude Revival
Bugatti aus den 1920er bei der Solitude Revival

Speziell bei der Motorradfraktion lässt sich beobachten, wie sich die Vorkriegsszene im deutschsprachigen Raum verjüngt und verändert hat. Beispiele dafür sind die in Rheinhessen stattfindende „Keilriemenfahrt“, die „Franz-Josefs-Fahrt“ in Österreich und das „Board-Track-Racing-Treffen“ auf dem Velodrom in Darmstadt.

Sicher fällt dem Zweirad-Freund der Einstieg in die Vorkriegswelt leichter als dies bei Automobilen der Fall ist. Vorkriegsmotorräder üben durch ihre rustikale Optik, oft beachtliche Leistung und kernigen Klang einen unmittelbaren Reiz aus, dem man sich mit etwas Benzin im Blut nur schwer entziehen kann. Auch gibt es hier noch ein großes Angebot an bezahlbaren Vehikeln, die nur geringe Ansprüche an Unterhalt und Unterkunft stellen.

Dagegen gelten Autos aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als lahm und langweilig, aufwendig zu unterhalten und schwer zu fahren. Wer jedoch einmal Veranstaltungen besucht hat, bei denen Vorkriegsautos nicht nur museal oder als Spekulationsobjekt präsentiert, sondern ausgiebig gefahren werden, macht eine erstaunliche Entdeckung: Das Erlebnis speist sich nicht aus dem Gefühl hoher Geschwindigkeit und der optische Genuss bedarf keiner sensationellen Karosserien.

Junger Teilnehmer bei der Soitude - Revival
Junger Teilnehmer bei der Soitude – Revival

Bei den Fahrzeugen der Pionierjahre ist noch die Ingenieurs- und Handwerkskunst einzelner Menschen sichtbar, deren Innovationskraft und Können die Entwicklung vorangetrieben hat. Gleichzeitig sorgten die riesige Zahl an Marken und die Vielfalt der technischen Konzepte aus der Zeit vor der Massenfertigung für eine Individualität der Fahrzeuge, die es später so nicht mehr gab und die heute in Gänze verlorengegangen ist.

Angehende Mechatroniker, die die Zusatzausbildung zum Oldtimermechaniker absolvieren, sind gern gesehene Gäste bei den Vorkriegs-Rennwagen
Angehende Mechatroniker, die die Zusatzausbildung zum Oldtimermechaniker absolvieren, sind gern gesehene Gäste bei den Vorkriegs-Rennwagen

Sieht man nun diese altehrwürdigen Zeitzeugen in Bewegung, dann erlebt man die arbeitende Technik in einer Unmittelbarkeit, die ans Lebendige grenzt.
Vorkriegsautos sind nicht schwer beherrschbar, sondern auf eine positive Weise fordernd: Betrieb und Wartung setzen Verständnis und Gefühl für ein komplexes Gebilde voraus, das Fahren verlangt stete Aufmerksamkeit und Beherztheit. So stellt sich auch bei objektiv oft nur geringer Leistung eine Intensität des sinnlichen Erlebens ein, die keines der neuzeitlichen Vehikel vermitteln kann, die den Insassen von jeder Anstrengung entlasten.

Peugeot 402 auf großer Fahrt
Peugeot 402 auf großer Fahrt – nicht immer ist das Wetter so, wie man es sich wünscht

Ganz offenbar gibt es ein wachsendes Bedürfnis nach dem intensiven Fahrvergnügen von einst, und so gibt es für die Vorkriegsfraktion auch hierzulande einige Gelegenheiten, ihre Vehikel auf der Straße einzusetzen. Beispiele dafür sind die „Kronprinz-Wilhelm-Rasanz“ am Niederrhein, die “Herkomer-Konkurrenz” in Landsberg am Lech, die 2020 wieder stattfindene “Lacus Potamica” am Bodensee und der wiederbelebte „Großglockner Grand-Prix“. Für Rennsportwagen der 20er und 30er Jahre sollte auch die alle 2 Jahre durchgeführte “Solitude-Revival” in Stuttgart nicht unerwähnt bleiben.

Vorkriegspeugeot beim IAPM 2018 in Tschechien
Vorkriegspeugeot beim IAPM 2018 in Tschechien

Ungeachtet dieser großartigen Veranstaltungen in Deutschland lehrt einen erst der Besuch im benachbarten Ausland, wie quicklebendig und enthusiastisch die Vorkriegsszene wirklich ist. So nehmen am „London-Brighton-Run“ jährlich über 400 vor dem Jahr 1905 gebaute Fahrzeuge teil.
2017 stammten allein 16 teilnehmende Fahrzeuge von Peugeot. Die Startnummer 31 – ein Typ 26 – ist sogar Mitglied im Dt. Peugeot Vorkriegs-Register.

Die Leidenschaft für motorisierte Vehikel der Vorkriegszeit ist bei unseren französischen Nachbarn ähnlich groß wie bei den Briten. Das hat nicht nur mit der besonderen Markenvielfalt in beiden Ländern in der Frühzeit des Automobils zu tun. Es spiegelt auch ein generell stärkeres Bewusstsein für die Historie als Wurzel der eigenen Identität wider, während in Deutschland mit dem Willen zum Neuanfang nach dem Krieg auch manche positive Traditionen leichtfertig entsorgt wurden.

Peugeot 402 Cabriolet
Peugeot 402 Cabriolet

Anders ist es kaum zu erklären, weshalb so wenige von den Fahrzeugen deutscher Produktion aus den Anfängen einsatzbereit erhalten sind. Ein zeitgenössisches Beispiel für den oft immer noch gedankenlosen Umgang mit dem Erbe der eigenen Technikhistorie ist etwa der Versuch von Provinzpolitikern, den Nürburgring zu einem zweiten Disneyland zu machen.

In Frankreich treten zwar ebenfalls abgehobene Politiker gern mit fragwürdigen Prestigebauten hervor – aber hier konnte bei der legendären Rennstrecke von Monthléry südlich von Paris das Schlimmste verhindert werden. Dort ist es gelungen, den Charakter des 1924 erbauten Rundkurses mit seinen Steilkurven zu erhalten und die Strecke für historische Rennveranstaltungen zu nutzen. Gab es früher auch im englischen Brooklands und im italienischen Monza sowie in Daytona (USA) und auf der Berliner AVUS Rennstrecken mit Steilkurven, ist der „Circuit de Monthléry“ heute der einzige Ort, an dem diese noch befahren werden können.

Peugeot Rekordwagen "301 Miramas" auf der Strecke
Peugeot Rekordwagen “301 Miramas” auf der Strecke