Henri Thomas – von 1932 bis 1960 Designchef von Peugeot

Unter den großen französischen Designern ist Henri Thomas heute praktisch vergessen. Im Web sind nicht einmal die Geburts- und Todesdaten zu finden. Nur ein Foto von ihm in Begleitung seines Nachfolgers Paul Bouvot ist uns erhalten geblieben.

Henri Thomas (links) mit seinem Nachfolger Paul Bouvot
Henri Thomas (links) mit seinem Nachfolger Paul Bouvot

Henri Thomas war ein zurückhaltender Mann, der sich nicht gerne in den Vordergrund stellte. Obwohl er die Designabteilung bei Peugeot 28 Jahre lang in sehr schweren Zeiten leitete, ist auch im Archiv in Sochaux so gut wie nichts über ihn herauszufinden. In den 1930er Jahren waren Designer eben keine “Stars”, wie sie es heute sein können. Dies galt umso mehr für einen Hersteller wie Peugeot, der diskret, seriös und sogar streng geheim arbeitete.

Bevor er zu Peugeot kam, gehörte Thomas zu einem kleinen Kreis von Designern, die für Binder, Million-Guiet, Kellner und einigen andere bekannte Carossieres Karosserien entwarfen, mit denen dann Fahrgestelle von Bugatti-, Delage-, Delahaye-, Rolls-Royce- und Hispano-Suiza eingekleidet wurden. Ihm wird u.a. das Design der Karosserie des vierten Bugatti Royale (Chassis 41100) von 1929 zugeschrieben, der leider bei einem Unfall zerstört wurde, den Ettore Bugatti 1931 verursachte, als er zwischen Paris und Straßburg am Steuer einschlief. Anfang der 1930er Jahre waren die Hersteller von Luxusfahrzeugen und die davon abhängigen Karosseriebauer schwer von den Folgen der Weltwirtschaftskrise betroffen. Henri Thomas sah in diesem Bereich keine Zukunft mehr und wechselte zum Volumenhersteller Peugeot, der damals nach Citroen und Renault an dritter Stelle bei den Zulassungen auf dem französischen Markt lag.

Der verunglückte Bugatti Royal "Weymann", dessen Entwurf H. Thomas zugeschrieben wird
Der verunglückte Bugatti Royal “Weymann”, dessen Entwurf H. Thomas zugeschrieben wird

Serge Belllu beschreibt in „La Carrosserie Française – du style au Design (ETAI, 2007) Henri Thomas wie folgt : “Er erscheint wie eine singuläre Persönlichkeit. Durch sein hieratisches Auftreten. Durch seine lange, strenge Silhouette, die in einem Anzug steckt, der von dem besten Schneidern stammt. Er tritt stets tadellos gekleidet auf und gibt sich nie den Fantasien seiner Künstlerkollegen hin. Er ist entschieden introvertiert und lässt seine Emotionen nicht erkennen. Hinter seinem distanzierten Blick, der hinter einer kleinen runden Brille verborgen ist, versteckt sich ein wahrer Künstler. Er malt Gouachen mit halluzinierender Präzision, da er in der Lage ist, mit einem Reißnagel zwölf parallele Striche auf einem Millimeter zu ziehen”.

Unter der Leitung Henri Thomas‘ wurden die Peugeot- Karosserien bei der 01-Serie zunächst runder, bevor sie bei den 02-Typen von amerikanischen Automobilen, insbesondere von Chrysler, inspiriert wurden. Ab 1944 hatte er die Planung zum Typ 203 zu verantworten und in den 1950er Jahren schlug er durch die Zusammenarbeit mit Pinin Farina ab dem Typ 403 ein neues Kapitel auf.

Zunächst war er jedoch in der Werbeabteilung tätig und fertigte eine ganze Reihe von Illustrationen für Prospekte und Plakate an. Die Unternehmensleitung erkannte, dass sein Talent auch für kreativere Aufgaben einzusetzen war. Man begann damals zu ahnen, wie wichtig der eigene „Stil“ eines Modells für die Kunden sein würde. Daher wurde H. Thomas in die Abteilung “Karosseriestudien” in Paris versetzt. Dort begeisterte er sich sofort für die aufkommende aerodynamische Bewegung in der Automobilindustrie. Dadurch wurde er der Mann der Stunde in der Karosserieabteilung von Peugeot. Die Aerodynamik war zu dieser Zeit zwar eher ein wichtiges Werbeargument als eine echte technische Tatsache, aber kein Hersteller konnte sich diesem Trend verschließen.

Peugeot 201
Peugeot 201

Als er in die Designabteilung einstieg, bestand die Produktions-Palette ausschließlich aus dem seit 1929 im Programm befindlichen 201 mit verschiedenen Karosserievarianten. Kurz danach kam der neu auf den Markt kommenden 301 hinzu. Beide Modelle hatten wegen ihrer Zuverlässigkeit Erfolg, waren aber sowohl optisch als auch technisch sehr konservativ.
Thomas überarbeitetet die Karosserien und so stand der 201 BR im Oktober 1933 mit weicheren Linien, leichteren Scheinwerfern, voluminöseren Stoßstangen, länger gezogenen Kotflügeln und einem leicht geneigten, windschnittigen Kühlergrill auf dem Pariser Salon. Er wirkt viel weniger schmal und deutlich besser proportioniert als sein Vorgänger. Das gleiche galt für den im September 1933 erschienen 301. Beide Baureihen verkauften sich gut und ermöglichten es dem Hersteller, seine finanzielle Situation, die nach der Wirtschaftskrise, die 1932 ihren Höhepunkt erreicht hatte, heikel geworden war, zu verbessern und sich endgültig unter den drei großen des französischen Automobilbaus zu etablieren.

Im Mai 1934 kehrte Peugeot mit dem 601 in die Kategorie der Sechszylinder zurück. Ästhetisch folgt er dem gleichen Stil wie der 301, wirkt aber dank der längeren Motorhaube eleganter. Henri Thomas hatte weniger Schwierigkeiten, das Prinzip der fließenden Linien beim Coach umzusetzen als bei der Limousine, da die Anforderungen an das Raumangebot nicht die gleichen waren. Leider gelang es dem 601 nicht, sich inmitten des überbordenden Angebots der Konkurrenz durchzusetzen und so endete seine Karriere nach anderthalb Jahren. Die des im Oktober 1934 nachgeschobenen Mittelklässlers 401 war noch kurzlebiger, sie dauerte nicht länger als ein Jahr.

Peugeot 601 Coach
Peugeot 601 Coach (Quelle: https://en.wheelsage.org)

Grund dafür war ein „Wettrüsten“, das sich Renault, Citroen und Peugeot Mitte der 1930er lieferten und bei dem einige weitere Wettbewerber nicht Schritt halten konnten. Citroen eröffnete die Feindseligkeiten Anfang 1934 mit dem technisch ambitionierten 7 CV Traction Avant, der einen Frontantrieb erhielt. Außerdem stellte Chrysler im Februar 1934 den „Airflow“ vor, der wie eine futuristische Zeichnung aussah. Die darin verwirklichten Ideen der amerikanischen Designer erregten die Aufmerksamkeit von Henri Thomas.

Als Antwort auf den Citroen Traction erhielten zunächst alle auf dem Pariser Salon 1934 ausgestellten Peugeots eine neue Karosserie, deren gewölbter hinterer Teil (der sogenannte “Biberschwanz”), einen von außen zugänglichen Kofferraum enthielt. Schritt für Schritt modernisierten Henri Thomas und seine Zeichner die Linien der Peugeot 01-Serie mit tiefer liegenden Scheinwerfern und Positionslichtern, sanfter gebogenen Stoßstangen etc. Die aerodynamische Überarbeitung kann aber nur ein Zwischenziel sein – nach dem Konservatismus beschloss Peugeot, nun ein Zeichen zu setzen: Die Serie 02!

301 D Coupe aus dem Jahr 1936
301 D Coupe aus dem Jahr 1936 (Quelle: www.favcars.com)

Hiermit wird der Wille des Herstellers bekräftigt, eine neue Seite in seiner Geschichte aufzuschlagen, ohne in die Exzesse einiger anderer Hersteller zu verfallen, die die aus der Stilbewegung der Aerodynamik und des Art Deco hervorgegangenen Formen nicht zu beherrschen wussten. Glücklicherweise gelang es Peugeot mit seinem neuen Modell 402, einen subtilen Kompromiss zwischen Ausgewogenheit und Modernität zu finden, der viele Konkurrenten in die zweite Liga verwies. Der Name Henri Thomas wird auf immer berühmten “Spindel aus Sochaux” verbunden sein. Diese Bezeichnung wurde von einfallsreichen Werbefachleuten für den 402 eingeführt, der seine persönliche Interpretation der neuen Wissenschaft der Aerodynamik umsetzt.

Peugeot 402
Peugeot 402

Der 402 wird auf dem Pariser Salons 1935 präsentiert. Unter den zahlreichen Herstellern, die ihre Neuheiten enthüllten war es der Stand von Peugeot, der – ein Jahr nach dem Durchbruch des Traction bei Citroën – die Besucher in Scharen anzog, auch wenn der 402 technisch nicht so extrem war wie dieser. Dennoch ist er ein modernes Automobil, bei dem nur die Federung vom 401 übernommen wurde

In ästhetischer Hinsicht konnte das von Henri Thomas geleitete Peugeot-Team deutlich mehr Leichtigkeit als Chrysler zeigen, insbesondere bei der Frontpartie. Der 402 überraschte die Öffentlichkeit: ein gewölbter und stark geneigter Kühlergrill, der die Scheinwerfer schützt, kein Trittbrett, hintere Kotflügel, die die Räder vollständig bedecken, zwei halbe Motorhauben, die anstelle der klassischen Seitenwände heruntergeklappt werden können …

Viele Hersteller auf der ganzen Welt ließen sich – mit tlw. grenzwertigen Ergebnissen – vom Chrysler Airflow inspirieren. Henri Thomas gelang es wie kaum einem anderen, die aerodynamischen Theorien, die in den USA angewandt wurden, an den Kanon der französischen Automobil-Eleganz anzupassen. Die Eleganz war schwer zu erreichen; die Designer bei Peugeot schafften es viel besser als die Amerikaner, deren Airflow von den Käufern verschmäht wurde.

 der Chryler Airflow, dahinter der deutlich elegantere Peugeot 402
vorn der Chryler Airflow, dahinter der deutlich elegantere Peugeot 402

Nach der Präsentation des 402 zeigte Peugeot auf dem Salon 1936 den kleineren 302, der den 301 ersetzen sollte. Er hatte einen kleineren 1.800 cm3 Motor mit rund 10 PS geringerer Leistung. Die Karosserie war mittels Pantograph verkleinert worden und rund 35 cm kürzer als der 402. Der 302 bekam ab 1938 den Motor des 402 und wurde in 402 Légère umbenannt.

Im gleichen Jahr lief die noch aus 201 und 301 bestehende 01-Serie aus. Mit dem 202 wurde im Februar der kleine Bruder des 302 und 402 vorgestellt, der den 201 ersetzt. Für das Publikum ist er keine Überraschung mehr, da seine Formen in einem kompakteren Format an die seines großen Bruders 402 erinnern. Allerdings ist er geräumiger und erscheint hübscher als ein Renault Juvaquatre, der im gelichen Segment angesiedelt ist. Leider wird die gesamte Serie 02 im September 1939 vom Kriegsausbruch betroffen, der zu einer Einschränkung der Produktion führt. Bis 1942 wurden nur noch die Basisversionen der Limousine und des Kombis hergestellt, danach ist die Produktion komplett auf Nutzfahrzeuge für die Wehrmacht ausgerichtet.

Peugeot 202 Cabriolet
Peugeot 202 Cabriolet

Während des Krieges entstanden im Konstruktionsbüro von Peugeot verschiedene Entwürfe für die Nachkriegszeit. Die Firmenleitung träumt von einem großen, unauffälligen und imposanten Auto, dem gelingt, was André Citroën mit dem legendären 22 CV aus Geldmangel nicht geschafft hat. In Planung ist ein Modell mit einem V8-Motor. Doch die Situation erforderte mehr Realismus, und das Projekt, das sich am Lincoln Zephyr orientierte, wurde nicht zu Ende geführt.

Die Nachkriegszeit ist durch harte Materialbewirtschaftung gekennzeichnet. Das Land benötigt ein Auto, das möglichst viele Menschen mobil macht, das sie sich aber auch leisten können.
Zunächst arbeitet man parallel an Entwürfen zu einem 6- und einem 10-CV nach US-Vorbildern, aber gegenüber den Vorkriegswagen deutlich kompakter. Da die Mittel für mehrere Studien fehlen und die deutschen Besatzer nichts mitbekommen dürfen, wird entschieden, alle laufenden Projekte einzustellen und sich auf eine Mittelklasse-Limousine in der Kategorie der 7-CV-Modelle zu konzentrieren. Im Jahr 1945 wurde die Studie des späteren 203 von Thomas endgültig auf den Weg gebracht.

Auf dem Pariser Salon 1948 enthüllte Peugeot sein neues Zugpferd, die Limousine 203, die nur noch entfernt mit dem “Spindel-Stil” der Vorkriegszeit verwandt war. Von vorne verleiht der breite Kühlergrill dem Wagen ein amerikanisches Aussehen, die umlaufenden Kotflügel sorgen für einen leichten, aerodynamischen Stil, der durch das ausladende Heck mit der kleinen ovalen Lünette noch verstärkt wird. Henri Thomas und Peugeot gelang es, in zweieinhalb Jahren Entwicklungszeit ein Auto zu bauen, das den amerikanischen Traum für den Teil der französischen Autokunden, die privilegiert genug waren, sich einen neuen Peugeot leisten zu können, erschwinglich machte.

Peugeot 203 aus dem Jahr 1954
Peugeot 203 – hier ein Exemplar aus dem Jahr 1954

Henri Thomas fand sich damit ab, neue Wege zu gehen. Es ging nicht mehr darum, eine komplette Modellpalette anzubieten. Peugeot entschied sich bewusst für ein einziges Modell, das in mehreren Karosserievarianten angeboten wurde. Bereits ein Jahr nach seiner Einführung wurde der 203 als Cabrio-Limousine und als Kombi angeboten. Auf dem Salon 1951 erschien dann ein offenes Cabriolet und auf dem Salon 1952 ein hübsches Coupé, das jedoch im folgenden Jahr wieder aus dem Katalog verschwand.

Die nuancenreiche Entwicklung des 203 während seiner 12-jährigen Bauzeit entsprach den Wünschen der Peugeot-Kunden, die mit den stilistischen Phantasien von Simca oder dem übertriebenen Avantgardismus von Citroën wenig anfangen konnten und unempfänglich für die populistischen Produktionen von Renault waren. Unmerklich wandelte sich das Image des 203 von einem Auto auf der Höhe der Zeit zu Beginn der 50er Jahre zu dem eines veralteten, aber treuen Autos am Ende seiner Karriere

Der letzte voll von Henri Thomas verantwortete Wagen war der im April 1955 erscheinende Typ 403. Dieser stellt einen Wendepunkt in der Geschichte von Peugeot dar, da er in Zusammenarbeit mit Pinin Farina entworfen wurde. Die Konstruktionsbüros in La Garenne-Colombes und Sochaux sahen diese neue Zusammenarbeit mit Sorge, die als eine Form des Misstrauens der Geschäftsleitung gegenüber den eigenen Designern angesehen wurde. Obwohl Jean-Pierre Peugeot mit dieser Vereinbarung den Beginn einer langen, engen Zusammenarbeit einleitete, die sich als fruchtbar erweisen sollte, ging er das Risiko ein, die Moral eines Teils seiner Belegschaft zu untergraben.

rechts der Peugeot 403, kinks ein 402 - beide von Pinin Farina gezeichnet
rechts der Peugeot 403, kinks ein 402 – beide von Pinin Farina gezeichnet

Trotzdem war der 403 der Star des Peugeot-Stands auf dem Pariser Salon 1955. Pech war, dass Citroën die revolutionäre DS vorstellet, die den Peugeot zwangsläufig in den Schatten rückte. Paul Bouvot, der 1956 als Berater von Henri Thomas zu Peugeot kam, wurde zum Dreh- und Angelpunkt der Zusammenarbeit zwischen Pinin Farina in Turin und den Peugeot-Teams. Vier Jahre später wurde er Nachfolger des in den Ruhestand gehenden Henri Thomas.